„Wir feiern nicht …!“

Heute erreichte uns, wenn auch etwas verspätet, ein kritischer Beitrag zum Umgang mit dem 8. Mai in Sachsen. Dem AutorInnenkollektiv sei dafür gedankt.

„Wir feiern nicht …!“

Ein weiteres wichtiges Datum, an welchem die noch nicht am Volkstod Gestorbenen wieder Tränen im Knopfloch sammeln und das Freie Netz Kleber à la „die Lüge von der Befreiung“ ins Stickeralbum ordnet, nahte. „Da sollte mensch meinen, dass 65 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges in Europa und der damit einher gehender Kapitulation einer verbrecherischen Armee und eines ebenso an den Verbrechen beteiligten „Volkskörpers“ auch in Deutschland die Geschichte dahingehend verdrängt wäre, eigene Schuld genug geleugnet und eigene Verantwortung durch die Gnade der späten Geburt sowieso nicht mehr als relevant erachtet würde, dass sich doch einige Menschen dazu hinreißen ließen, sich, sei es auch nur, um die friedensstiftende Rolle Deutschlands in der Welt zu untermauern, an Gedenkfeierlichkeiten des 8. Mai zu beteiligen, um damit auch offiziell mit der Geschichte abzuschließen.
Während vielerorts parteiübergreifend gedacht wird, ist dem offiziellen Sachsen nicht nach feiern zu Mute. Die Frage ist nun, ist die sächsische Regierungskoalition zu dumm für einen solchen Schachzug, haben ihr extremismustheoretische Scheuklappen den Blick für alles andere versperrt, ist es tillichernde Arroganz oder tatsächlich das Fischen in den Untiefen des rechten Randes? Was hält die CDU-FDP davon ab, am 8. Mai zu feiern, dass Nazideutschland vor genau 65 Jahren nicht weiter Bestand hatte?
Ist es der Patriotismus, der die PolitikerInnen die deutsche „Schmach“ nicht verwinden lässt? Ist es das tradierte Rollenbild einer Gabriele Kuby, welche neben der Einladung als „Gender-Expertin“ in den sächischen Landtag u.a. mit Artikeln in der Jungen Freiheit öffentlich in Erscheinung tritt, was die CDU am 8. Mai verloren gehen sieht?
Wie Frau Kuby für ihr biologistisches Weltbild von der NPD gefeiert wird, wird der CDU ebenfalls für das Nichtfeiern propagandistisch gedankt werden. Mit dem Beharren darauf, dass der Tag der Befreiung der 27. Januar – die Befreiung Auschwitz‘ (oder die Befreiung der Deutschen von Auschwitz) sei, generiert die sächsische CDU ein Geschichtsbild, in welchem die Welt bereits mit Auschwitz und mit ihr Deutschland. erlöst wurden, aber in Auschwitz eben jene, die nicht zum deutschen Volkskörper gehören sollten, entmenschlichte Wesen, gemordet durch Unmenschen. Auch wurde Deutschland am 8. Mai nicht befreit, sondern der Rest Europas durch die Niederringung der „VolksgenossInnen“.
Der Befreiung wird nur mehr gemeinsam mit einer „Vertreibung“ erinnert, die sich nicht so recht darauf besinnen mag, wie positiv die „VolksgenossInnen“ auf ihr praktisches Reich zu sprechen waren und auch gern ausklammert, dass die Taktik der verbrannten Erde Menschen gar nicht erst versuchte zu vertreiben sondern gleich physisch auslöschte. Nicht hierüber wird sich ereifert, sondern über die Reaktionen hierauf. Und diese nennt mensch dann ganz bescheiden „Vergewaltigungen am deutschen Volk“ und halluziniert über Massen von vergewaltigenden Rotarmisten, welche nach nichts mehr als dem deutschen „Volksköper“ trachteten. Hier lebt der Topos des „jüdischen Bolschewisten“ wieder auf, der als gesichtslose barbarische Masse die „Kulturnation“ Deutschland heimsuchte, ein ähnlicher Geist, der zum beispiellosen Wüten Deutscher „Herrenmenschen“ in Osteuropa im 2. Weltkrieg geführt hat. Parallelen zur Rhetorik bei sexuellen Übergriffen auf die vorgestellte biologische Einheit der Nation sind hier eben auch nicht rein zufällig. Die emotionalen Aufwallungen zeigen, wie Physis und Volk auch heute noch eine ständig bedrohte Einheit bilden, zu deren Verteidigung den Deutschen nichts als das blutige Ritual taugt: Exekutiert durch Krieg und kollektives deutsche Opfergedenken.
Der mediale Hype an Volkes Vergangenheit bezieht sich ungern auf den 8. Mai, sondern ergeht sich in Vorbereitung auf das Befreiungsjubiläum lieber im Kummer über „Dresden“ oder muss mittels Fernseher ausweichen auf die grass’sche Justloff. Dies zeigt nicht gerade ein freiheitliches Bild der Freizeitbeschäftigung, bezieht sich aber auch darauf, dass die Deutschen eben nicht befreit wurden, sie dachten nicht Befreiung, denn sie wünschten nicht die Kapitulation. Auch wenn mit zunehmenden Repressalien an der Heimatfront die Menschen den Sinn des Krieges zumindest materiell in Frage stellten, drohte mit der Kapitulation die Befreiung vom Deutschen Sein, vom Wesen an dem die Welt – gemeint die kleine der autoritär-preußischen Nationalbeflügelten – doch einst genesen sollte und dies nun nicht mehr wollte.
Dieses Deutschland wurde tatsächlich befreit und mit ihm die Verfolgten, die Ausgeschlossenen, die Bedrohten, nicht aber die Deutschen selbst, die selbiges doch für richtig hielten.
In den Besatzungszonen wurde verschiedentlich versucht, auf die Misere zu reagieren, dass nicht ein Führer, eine Partei oder eine Armee verdrängt und besiegt werden mussten, sondern dass der überwiegende Teil der Bevölkerung des Reiches nicht nur gute Miene gemacht, sondern kräftig mit angepackt hatte, wider das Individuum, für das Volk. Und während man versuchte alles anders und bedrohlich wahrgenommene „auszumerzen“ sollte im gleichen Akt das eigene Individuum im Volkskörper aufgehen und unwiederbringlich verschwinden.
Aus dieser Orgie herausgerissen zu werden, mag wie eine Stunde Null klingen, war es aber mitnichten. Die TäterInnen wurden in nicht umfangreicher Zahl zur Rechenschaft gezogen. Während sich die Sowjetische Besatzungszone als unbescholten betrachtete und damit einer neuen Nationwerdung den Weg bahnte, sich aber zumindest vehementer um VerbrecherInnen in höheren Ämtern kümmerte, wollte mensch in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit nicht so recht Notiz von der eigenen Vergangenheit nehmen und wartete hiermit bis 1985 Weizäcker darauf verwies. Die Nichtauseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wurde vom Aufkommen verbrämter Totalitarismustheorien flankiert. Während die DDR sich antifaschistisch stilisierte, verwies die BRD auf deren totalitären und damit auf einen eigenen antitotalitären Charakter. Bar der Aussagen Hannah Ahrendts wurde Wissenschaft zur politischen Waffe im Kalten Krieg.
Löste Ernst Nolte mit seinen Thesen noch in den 80er Jahren einen Historikerstreit aus, wird kaum mehr in dieser Deutlichkeit auf aktuelle in die gleiche Richtung zielenden Verlautbahrungen aus Poltitik und Wissenschaft reagiert. Auch ist nicht zu erwarten, dass Daniel Goldhagen die VolksgenossInnen mit einem weiteren Werk so verschreckt wie einst. Sie sind jetzt wieder wer, verhalten sich „unverkrampft“ zur „ihrer“ Nation und kleistern sich beim kleinsten sportlichen Anlass soviel Dreifarbiges ins Gesicht, dass der Wunsch, wieder im wogenden Moloch einer (diesmal schwarz-rot-goldenen Jubel)Menge untertauchen zu können, nur allzu offensichtlich wird.
Gejubelt wurde am 8. Mai 1945 unter Deutschen nicht. Erst 1948, als die „Rosinenbomber“ – welch‘ deutsches Wort – die neuerlich Gekesselten vorm „kommunistischen Hungertod“ retteten, lernte der Mob wieder Beifall zu klatschen. Antikommunismus bleibt unter Deutschen ein wichtiges Bindungsglied. Von Bismarck wurden hierfür Sozialversicherungen eingeführt, der „Dolchstoß“ und die Noskepolizei besorgten die Zeit der Weimarer Republik, der Nationalsozialismus drohte noch unverhohlener mit dem Tod und die Bundesrepublik verbot erneut, nannte dies aber nicht mehr „Sozialistengesetze“ oder „Reichstagsbrandprozess“. Inhalte wurden mehr und mehr zu „links“ und „rechts“, zu „radikal“ und schließlich zu „extremistisch“ hin verdrängt – eine politisch wie wissenschaftliche Drohung gegen die „Roten“. Während wissenschaftlich bei näherer Betrachtung nicht mehr viel von Jesses, Backes‘, Kailitz‘ etc. Thesen bzw. deren Referenzmodell übrig bleibt, ist politisch Vorsicht geboten. Neben seiner populistischen Verwendung, wird er vermehrt und ganz deutlich in Sachsen als revisionistisches Geschütz in Stellung gebracht und reiht sich ein in die Leugnung neonazistischer Umtriebe und die Pläne zu einem sächsischen Nationalmuseum.
Es scheint unwahrscheinlich, dass in einem solchen von der Befreiung am 8. Mai zu lesen wäre. Dass die Rote Armee Auschwitz genauso wie Berlin besetzen konnte, muss für Sachsens CDU unerträglich sein. Scheint doch hierdurch der Befreier nicht mehr als roter Verbrecher der „zweiten deutschen Diktatur“ sondern irgendwie menschlicher. In antitotalitäres Denken, welches mehrfach Schnittmengen zu anderen menschenverachtenden Ideologien aufwies, mag dieser Gedanke ungern Einzug halten.
Und so vergräbt mensch diesen und denkt nicht daran, die Befreiung der Vielen zu feiern, die von Deutschland geknechtet wurden. Das Pilotprojekt „Antitotalitäres Sachsen“ geht in die nächste Runde und mensch kann gespannt sein, wie lange der 1. Mai in Sachsen noch als Tag der Arbeit begangen werden darf – die Historie des Feiertags mag sich spannend auswirken. Schön aber zu sehen, wie Impulse neonazistischer Prägung aufgegriffen werden. Denn auch diesen war schon so oft an Daten mit Bezug zur deutschen Kapitulation klar: „Wir feiern nicht“.

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