Brot und Spiele

Bald ist es wieder soweit, wir haben so lange darauf gewartet: Die Fussballweltmeisterschaft in Südafrika beginnt und ermöglicht Millionen Menschen auf der Welt ihre realen Problem zu vergessen und sich in nationalistischer Einigkeit geifernd vor der Glotze zu versammeln.

Ganz viel Glück haben einerseits diejenigen, die ihre Vorliebe für „wilde und exotische“ Gegenden der Welt mit ihrer Sportbegeisterung verbinden können. Andererseits aber haben auch die vielen „Eingeborenen“ Glück, denn während wir langweilig vorm TV sitzen müssen, können sie, wie beim ZDF-WM-Werbespot zu sehen, glücklich durch die Savanne rennen und sich dann ganz sicher vor ihren NachbarInnen ins Stadion begeben.

Dieses eurozentrische neokoloniale Bild der sogenannten „Regenbogennation“ wird zur Zeit täglich reproduziert. Selten wird der moderne Industriestaat Südafrika gezeigt, der von ähnlichen gesellschaftlichen Konflikten zerrissen wird wie die hiesigen bürgerlichen Nationalstaaten auch. Offen zu Tage trat dies vor einigen Monaten, als vom kapitalistischen Wohlstandsversprechen ausgeschlossene SüdafrikanerInnen ihre immigrierten Mitmenschen mit Knüppeln durch die Straßen jagten.1Bevor mensch jedoch Stereotype über „zivilisierte“ und damit vermeintlich bessere WesteuropäerInnen reproduziert, sei nur auf das menschenverachtende Verhalten der Europäischen Union in Form von Frontex und der Situation in vielen „AsylbewerberInnenheimen“ in den hiesigen Kommunen verwiesen.

Hinzu kommt, dass der Befreiungsmythos symbolisiert durch den ANC (African National Congress) oft in einem Atemzug mit dem „nationalen Aufbruch“ in Deutschland und Osteuropa durch die politische Wende genannt wird, sich wandelte zu einer scheinbaren „Befreiung“ durch Teilhabe im und am Kapitalismus. Das frühere Ideal des ANC einer sozialistischen, emanzipatorischen Gesellschaft aller Menschen ist der Förderung einer neuen schwarzen Mittelschicht gewichen. Diese grenzt sich ab durch Gated Communitiess, die die Menschen der Townships mit militärischer Gewalt ausschließt und die früher den weißen Bureneltiten vorgeworfene, rassistische kleinbürgerliche Idylle zelebriert. Wesensgleiche Anlagen, wenn auch nicht in dieser drastischen Intensität, finden sich in den neubürgerlichen modernen Stadtbezirken wie Prenzlauer Berg in Berlin oder der Hamburger Hafenstadt. Zugespitzt findet die neue Trennung (Apartheid) der Menschen nicht mehr nur nach der Farbe ihrer Haut, sondern auch nach sozialem Status statt.

Das Ideal, dem sich der ANC einst verschrieben hatte, ist in heutiger Zeit bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Jacob Zuma – 2009 als Hoffnungsträger progressiver Gruppen gewählt – ist selber in Vergewaltigungs- und Korruptionsvorwürfe2 verstrickt: Statusgebundene patriarchale Männlichkeit sorgt zudem für ein Klima, welches sich in praktizierter und tolerierter Homophobie, im Sexismus sowie in Vergewaltigungen und Feindlichkeiten gegenüber Mitmenschen ausdrückt.

Dies alles ist kein alleiniges Problem von Südafrika, der Fussball-WM oder des ANC, sondern bezeichnet lediglich sichtbare Symptome, die auch hier in Form von rassistischen, antisemitischen, sexistischen und homophoben Sprüchen in den Stadien, auf der Strasse und am Stammtisch oft unwidersprochen auftreten.

 

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