Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung der dresdner HistorikerInnenkommission zum Angriff auf Dresden 1945, nicht um, wie diese im selbstformulierten Anspruch, an das Schicksal von betroffenen DresdnerInnen zu erinnern, sondern um dem Mythos Dresden historisch fundiert etwas Luft abzulassen.
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"Im Februar 1945 starben bei alliierten Luftangriffen in Dresden bis zu
25.000 Menschen
Die von der Landeshauptstadt Dresden beauftragte »Historikerkommission
zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar
1945« beendet am 17. März 2010 ihre Untersuchungen mit der
Veröffentlichung eines Abschlussberichts. Nach der Übergabe an
Oberbürgermeisterin Helma Orosz wird der Bericht am selben Tag im
städtischen Internetauftritt und in einer Buchpublikation für die
Öffentlichkeit bereitgestellt.
Die Kommission war im November 2004 im Ergebnis bürgerschaftlicher
Diskussionen zur Dresdner Erinnerungskultur durch den damaligen
Oberbürgermeister Ingolf Roßberg berufen worden. Nach kontroversen
Debatten wurde sie im Januar 2007 durch den Stadtrat bestätigt und mit
dem notwendigen Forschungsbudget versehen. Gleichzeitig erweiterte und
präzisierte der Stadtratsbeschluss die Aufgabenstellung der Kommission.
Untersuchungen zur Zahl der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen
Auftrag der Kommission sollte es sein, den »aktuellen Forschungsstand
zur Zahl der durch die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945
getöteten Menschen festzustellen«. Dieser Aspekt des historischen
Geschehens wird bis in die Gegenwart hinein kontrovers diskutiert: Die
Spannbreite der dabei behaupteten Zahlen ist groß; sie reicht von ca.
20.000 bis zu 500.000, in Einzelfällen gar bis zu einer Million
getöteter Menschen. Dies ist keine allein lokalgeschichtliche
Streitfrage: Das Erinnern an die alliierten Luftangriffe auf Dresden –
symbolisch adressiert im Datum des Jahrestages 13. Februar – besitzt
nach wie vor aktuelle Bedeutung in den gesellschaftspolitischen
Auseinandersetzungen um Geschichtsbilder, Gesellschaftsentwürfe und
Identitäten. In diesem Diskurs ist die Zahl der durch die Luftangriffe
auf Dresden getöteten Menschen seit langem zu einem zentralen Argument
geworden, in dessen Verwendung sich Bewertungen und Haltungen bündeln.
Die Untersuchung konnte nicht darauf abzielen, jeden einzelnen im
Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen mit Sicherheit zu erfassen.
Wohl aber sollte die Zahl der Toten in ihrer Größenordnung, also mit
einer wesentlich geringeren Schwankungsbreite als in der aktuellen
Debatte, ermittelt werden. Dies ist der Kommission gelungen.
Wesentliches Merkmal der Forschungsarbeit waren sowohl der
außergewöhnlich breite interdisziplinärer Ansatz als auch der
intensive Gebrauch elektronischer Informationsverarbeitung.
Nach einer kritischen Untersuchung der Überlieferungen in deutschen
und ausländischen Archiven beschloss die Expertengruppe, eine
vollständig neue Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten
vorzunehmen. Dazu verfolgte sie drei verschiedene Ansätze: Zunächst
wurde versucht, eine Bevölkerungsbilanz der Menschen in Dresden vor
und nach den Februar-Luftangriffen 1945 zu erstellen, was sich
angesichts fehlender kohärenter Nachweise jedoch als unmöglich erwies.
Dagegen gelang es, sowohl über eine Einzelfallerfassung von
dokumentarischen Nachweisen aus Bergung, Registratur und Bestattung
der Dresdner Luftkriegstoten als auch über die Auswertung der
Unterlagen des Personenstandswesens unabhängig voneinander die Zahl
der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen zu ermitteln.
Im Ergebnis intensiver Recherchen konnten in den Archiven, in den
Unterlagen der Friedhöfe in und außerhalb Dresdens, in den Nachweisen
der Standesämter und Amtsgerichte fast 60.000 Einzelnachweise in einer
elektronischen Datenbasis erfasst werden. In der Mehrzahl der Fälle
liegen dabei mehrere Nachweise für eine getötete Person vor. Erfasst
wurden sowohl namentlich bekannte als auch unbekannte Tote. Anhand
dieser Daten wurde es möglich, die Abläufe der Bergung, Registratur
und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten weitgehend zu
rekonstruieren. In den Untersuchungen zum Personenstandswesen wurde
zunächst die Zahl der in den Dresdner Standesämtern beurkundeten
Sterbefälle, die mit den Luftangriffen im Februar 1945 im Zusammenhang
stehen, ermittelt. Parallel erfolgte die Auswertung aller bundesweit
seit 1945 vorgenommenen Todeserklärungen zu Dresdner Luftkriegstoten.
Im Ergebnis beider Untersuchungen stellte die Kommission fest, dass
die Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 den
Tod von bis zu 25.000 Menschen zur Folge hatten. Damit bestätigen sich
offizielle Zahlenangaben der zuständigen Behörden aus den Jahren 1945
und 1946.
Die neu ermittelte Zahl der Luftkriegstoten in Dresden wurde in
mehreren Untersuchungen auf ihre Plausibilität geprüft. Weder in der
dokumentarischen Überlieferung, noch in den zahlreichen
Argumentationen und Erzählbildern aus Literatur und Medien konnten
belastbare Argumente festgestellt werden, die das Ergebnis in Frage
stellen.
Die Kommission hat insbesondere zahlreiche persönliche
Erinnerungszeugnisse untersucht und nachgewiesen, dass nur eine kleine
Minderheit der Augenzeugen Angaben zur Gesamtzahl der Luftkriegstoten
in Dresden machen will und kann. Oft zitierte Erinnerungsberichte, die
wesentlich höhere Totenzahlen aus vermeintlich autorisierter Quelle
berichten, sind von der Kommission exemplarisch hinterfragt und als
spekulativ bewertet worden.
Aus mehrfacher Perspektive setzte sich die Kommission mit der Zahl der
in Dresden getöteten Flüchtlinge auseinander, die häufig als sehr hoch
angenommen wird. Die Analyse der Einzelfallnachweise machte jedoch
deutlich, dass der Anteil von Flüchtlingen an den Dresdner
Luftkriegstoten gering war. Dieses Ergebnis bestätigte sich auch bei
der statistischen Auswertung der Unterlagen bundesweit agierender
Such- und Nachweisdienste.
Ebenso wenig bewahrheiteten sich populäre Annahmen, dass zahlreiche
getötete Menschen in Dresden nicht geborgen worden seien. Sowohl im
Ergebnis der räumlichen Analyse der Bergungen als auch in der
Auswertung der archäologischen Untersuchungen in zentralen
Stadtgebieten Dresdens kann dies für eine größere Zahl getöteter
Menschen ausgeschlossen werden. Auch die weit verbreitete Vermutung,
die Bergung und Bestattung der getöteten Menschen sei so lückenhaft
dokumentiert worden, dass sich eine Ermittlung der Totenzahlen als
unmöglich erweisen würde, bestätigte sich nicht. Zwar mussten die
zuständigen Behörden angesichts der Größe der Katastrophe und der
Zeitumstände in vielen Fällen improvisieren, dennoch geht die
Kommission von einer weitgehend geordneten Erfassung zumindest der
Zahl der getöteten Menschen aus. Dies gilt sowohl für die Bergungen
bis zum Kriegsende als auch für die Arbeiten in den Jahren danach. Die
Kommission untersuchte zudem, ob zahlreiche Menschen in den
Großbränden der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 so rückstandlos
verbrannt sein könnten, dass eine Registratur unmöglich gewesen wäre.
Im Ergebnis materialtechnischer und archäologischer Untersuchungen
wurde deutlich, dass die dazu notwendigen Bedingungen allenfalls
punktuell erreicht worden sind.
In einem weiteren Untersuchungsansatz ordnete die Kommission die Zahl
der Dresdner Luftkriegstoten in den historischen Kontext des Zweiten
Weltkrieges ein – sowohl im Hinblick auf die militärischen Abläufe des
strategischen Luftkriegs als auch in Bezug auf die Gesamtbilanz
ziviler Verluste. In beiden Perspektiven sind Totenzahlen im
sechsstelligen Bereich allein in Dresden nicht darstellbar. Alle
genannten Untersuchungsperspektiven stützen das ermittelte Ergebnis
schlüssig.
Untersuchungen zu Tieffliegerangriffen auf Dresden zwischen dem 13.
und 15. Februar 1945
Ergänzend zur ursprünglichen Aufgabenstellung beauftragte der Stadtrat
die Kommission mit der Klärung der Frage, ob während der alliierten
Luftangriffe im Februar 1945 tieffliegende Flugzeuge eingesetzt waren
und die Bevölkerung aus Bordwaffen beschossen wurde.
Im Ergebnis der Auswertung militärischer und ziviler Dokumente aus
deutschen und alliierten Quellen konnten Tieffliegerangriffe zwischen
dem 13. und 15. Februar 1945 auf das Stadtgebiet von Dresden
ausgeschlossen werden. Eine breit angelegte Analyse von
Augenzeugenberichten ergab ein widersprüchliches Bild: Während in der
Mehrzahl Tieffliegerangriffe keine Rolle spielen, berichten einige
wenige Augenzeugen von solchen Angriffen durch ein einzelnes oder eine
geringe Anzahl von Flugzeugen. Auf der Basis solcher Berichte führte
die Kommission archäologische Untersuchungen an mehreren Stellen des
Stadtgebietes aus, die keinen Nachweis für Bordwaffenbeschuss
erbrachten.
Untersuchung der Erinnerungen von Dresdnerinnen und Dresdnern
Die Sammlung und Auswertung subjektiver Erinnerungszeugnisse stellte
einen unverzichtbaren Teil der Untersuchung dar, insbesondere um
parallele Forschungen fachlich auszurichten und deren Ergebnisse
kritisch zu hinterfragen. Ausgehend von einem expliziten Auftrag des
Dresdner Stadtrats erschloss bzw. erstellte die Kommission subjektive
Überlieferungen von 1.314 Personen der Erlebnisgeneration, darunter 90
lebensgeschichtliche Interviews. Die Analyse dieser
Erinnerungszeugnisse machte deren hohen Wert für die Erforschung der
»erlebten Geschichte« deutlich. Am konkreten Beispiel konnten
wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang von Erinnern und
Vergangenheitsrekonstruktion bestätigt werden.
Bei der Auswertung strittiger Erinnerungen und Interpretationen wies
die Kommission nach, dass populäre Zuschreibungen von Erzählbildern an
die Gesamtheit der Zeitzeugen (etwa das Festhalten an einer extrem
hohen Zahl der Dresdner Luftkriegstoten) unzulässige
Pauschalisierungen darstellen. Gleichzeitig belegten die
Untersuchungen die Einflüsse kollektiver Meinungsbildungen,
öffentlicher Debatten etc. auf das persönliche Erinnern.
In der intensiven Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der
Augenzeugen erschloss sich der Kommission die menschliche Dimension
der Dresdner Katastrophe im Februar 1945 noch einmal besonders
deutlich. Auch die elektronische Datenbasis mit ihren personengenauen
Nachweisen macht jenseits der bloßen Zahlen das individuelle Leid der
Betroffenen sichtbar. Die Kommission versteht ihre Arbeit als einen
Beitrag dazu, mit einer wissenschaftlichen Darstellung der
geschichtlichen Abläufe verantwortlich an das Schicksal der in Dresden
getöteten Menschen zu erinnern."
http://www.dresden.de/historikerkommission
Abschlussbericht der HistorikerInnenkommission
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