Wer hat Angst vorm Roten Mann?

Beitrag zur Demo am 5.3. 

Die Verhinderung des Dresdner Neonazi-Aufmarsches am Samstag, den 13.02., durch tausende BlockiererInnen ist nach Ansicht des Chemnitzer Politologen Eckhard Jesse „eine Niederlage für den Rechtsstaat". Damit hätten sich die Neonazi-GegnerInnen „über Recht und Gesetz hinweg gesetzt“, sagte Jesse am darauffolgenden Montag in Chemnitz. „Wenn Gerichte den Rechtsextremen einen Aufmarsch gestatten, müsse dieser gewahrt werden“, so schrieb der Professor im Nachgang der erfolgreichen Blockaden des größten Naziaufmarschs in Europa. Jesses Kritik speist sich unter anderem aus der Auffassung, die Blockaden hatten keine abschreckende Wirkung auf die Nazis entfaltet und wären daher nicht gerechtfertigt.
Diese Auffassung muss vorn vornherein ins Leere laufen.
Fraglich ist ob die Blockaden lediglich eine abschreckende Wirkung haben sollten? Richteten sich die Blockierenden nicht vielmehr gegen menschenverachtendes Denken und war nicht dies, im Gegensatz zur Menschenkette, das eigentliche Ziel der Blockierenden?
Nazis sind sowohl bewusste DarstellerInnen als auch Projektionsfläche der bürgerlichen Gesellschaft für eine gemeinsam hervorgebrachte faschistische Ideologie. Den wahrnehmbaren Auftritt dieser Ideologie verweigern sich BlockiererInnen damit und müssen es auch. So eine demokratische – wohlgemerkt nicht autoritär-rechtsstaatliche – Auffassung, welche unter anderem Blockaden als legitimes Mittel sieht, gegen u.a. Neonazis vorzugehen.
Blockaden gegen Neonazis besitzen allein aus sich heraus Legitimation, nicht weil sie Nazis als Personen den öffentlichen Raum verweigern, sondern weil sie sich auf Inhalte und Einstellungen beziehen, die keine Berechtigung besitzen, im öffentlichen Raum inszeniert zu werden.
Eckhard Jesses Kommentar beinhaltet außerdem die Ansicht, dass die Justiz und damit letztlich der Staat die einzige Instanz ist, die öffentliches Handeln legitimieren kann. Damit steht er in der sächsischen Hochschullandschaft nicht allein da. Zu nennen wäre vor allem das Hannah Arendt Institut in Dresden, welches sich als Gralshüter der Definition von Demokratisch und Antidemokratisch versteht. Als demokratisch gelten dabei alle Strukturen, Gruppen und Personen, die sich positiv auf die aktuell existierende politische und ökonomische Ordnung beziehen. Diese stehen im scheinbaren Gegensatz zu den sogenannten ExtremistInnen, welche gegen einen unformulierten „Demokratischen Konsens“ verstoßen. Dabei bezieht sich die Extremismusformel explizit auf Organisationsformen und öffentliche Meinungsäußerungen und muss damit Einstellungspotentiale und deren Verbreitung in der Gesamtgesellschaft und somit ihre eigene Begrenztheit ausblenden.
Eine Analyse der Entstehung von Ideologien und deren Teilaspekten ist dabei ebenso nicht gewollt, weil sie der tatsächlichen Absicht, der Schaffung eines Feindbildes entgegenstehen um die unüberwindbaren Grenzen zwischen ExtremistInnen und DemokratInnen nicht zu verwischen. Die Folge davon ist ein geistiges Klima, welches dem der 50er Jahre gleicht. In dieser Zeit entstand die Totalitarismusforschung, welche den ideengeschichtlichen Hintergrund für die heutigen ExtremismusforscherInnen darstellt. Diese war geprägt von Angst und Hass gegenüber kommunistischen, heute islamistischen, kurz extremistischen VerschwörerInnen. Ziel der Debatte ist dabei keineswegs eine inhaltliche Auseinandersetzung mit jeweils aktuellen ideologischen Phänomenen sondern ausschließlich eine nationale Identifikation gegen alle ihre KritikerInnen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft in Stellung zu bringen. Die Gesellschaft soll sich unter Verweis auf ein gemeinsames Feindbild formieren. So reproduziert die Extremismusforschung eigens die bürgerliche Ideologie in zeitgemäßem Gewand.
Es ist plötzlich legitim und geboten, dass evangelikale ChristInnen wie Frank Heinrich gegen Nazis demonstrieren. Trotz alledem bleiben beide in ihren Einstellungen z. B. gegenüber Schwulen und Lesben der gleichen irrationalen Überzeugung verhaftet, dass nicht alle Menschen gleich sind.
Gleiches gilt für alltäglichen Rassismus, der in der Extremismusforschung als Phänomen der am Rande der Gesellschaft operierenden Neonazis gedeutet wird, anstatt sich den gesellschaftlichen Wurzeln zu widmen, die täglich an Stammtischen, in Reden über rumänische Arbeitsmoral oder Zeitungsartikel über kriminelle AusländerInnen durchschimmern. Dies geht Hand in Hand mit offenkundig ökonomisch rationalen Ansichten zur Standortpolitik und die Produktion strukturellen Rassismus über Nationalitäten und Flüchtlingsabwehr die nichts als den Kapitalismus und damit die allgemeine Ausbeutung aller Menschen konserviert.
In diese Kerbe der durch die Extremismusforschung vordefinierte Sicht auf die Gesellschaft schlägt auch der Chemnitzer Professor für vergleichende Regierungslehre Gerd Strohmeier mit seinen Thesen zu Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen. Hierfür untersucht er die linksextreme Gefahr für Kinder neben Bibi und Benjamin anhand von Personen wie Karla Kolumna und dem Bürgermeister von Neustadt. Während Karla Kolumna, die rasende Reporterin, als Vertreterin kritischer Medien dargestellt wird, zeichnen die Autorinnen ein negatives Bild vom korrupten, unfähigen Bürgermeister, als der Autorität von Neustadt. Strohmeier stellt nicht die Frage, wie berechtigt das Ziel ist, Kindern das Zusammenspiel gesellschaftlicher Kräfte vorzuführen sowie die Legitimität a priorischer Autorität zu hinterfragen.
Für ihn sind Zivilcourage, Basisdemokratie, Pazifismus, Antikapitalismus sowie antihierachisches Denken keineswegs anzustrebende Eigenschaften eines demokratischen Individuums. Die wünschenswerte Teilnahme an Gesellschaft und politischen Auseinandersetzungen sieht Strohmeier als Bedrohung an und blendet damit jeden Emanzipationsbegriff aus.
Eine weitere populäre Errungenschaft der Universität ist Professor Heiner Rindermann. Dieser machte im Deutschlandfunk Ausführungen zu den genetischen Unterschieden zwischen Menschen und leitet daraus deren kulturelle Vielfalt sowie soziale Verschiedenheiten ab und hält weiter am Begriff der Rassen fest.
Während die Extremismusforschung ihr Weltbild noch unter Auslassungen bspw. von alltäglichem und strukturellem Rassismus oder Sexismus konstruiert, zeichnet Rindermann ein biologistisches Menschenbild, welches Klassen und soziale Ungleichheiten genetisch definiert.
Abschließend lässt sich also sagen, dass die ExtremismusforscherInnen in Neonazismus und Faschismus lediglich das Randphänomen Rechtsextremismus sehen, einen konstruierten Linksextremismus jedoch als tatsächliche Gefahr für das reibungslose Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft beschreiben. Diese Furcht teilt Gerd Strohmeier indem er vor einer antiautoritären Pädagogik und damit vor dem unkontrollierbaren Individuum warnt. Rindermann schafft mit seinen ethnopluralistischen Ansichten noch die Negation des Kapitalismus und schreibt
soziale Gegensätze natürlichen Ursachen zu.
Anschlüsse und Argumente für Nazis werden hiermit auf breiter Basis geliefert. Einer Auseinandersetzung mit menschenverachtendem Denken und Geschichtsrevisionismus als aktuelle Probleme entziehen sich die WissenschaftlerInnen. Das konsequente Verschweigen kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse muss in einer personalisierten Sicht auf gesellschaftliche Strukturen enden. Alle Kritik an dieser Gesellschaft versandet unter Verweis auf die ordnungszerstörenden Gefahren und den stalinistischen Popanz. Wissenschaft die frei ist von Ideologie und kritische Potentiale schafft, sieht anders aus. Willkommen in Chemnitz!

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