Aktionstage in Berlin vom 09.-11. Juni in Berlin
1. Aufruf
9. bis 11. Juni in Berlin
ABOLISH – Aktionstage und Flüchtlingskonferenz. Diskriminierende Gesetze gegen Flüchtlinge abschaffen!
ABOLISH: Asylbewerberleistungsgesetz und Residenzpflicht abschaffen – durchbrechen wir die Isolation aus den Lagern heraus – für die Selbstbefreiung der Unterdrückten!Täglich setzen sich Flüchtlinge in ganz Deutschland gegen den institutionalisierten Rassismus und die Isolation, gegen die Verletzung ihrer Würde, zur Wehr, die sie hier erleben müssen. Durch den Aufruf der Flüchtlinge zur Selbstbefreiung von der deutschen rassistischen Verfolgung gibt es Kämpfe in vielen Lagern. Getragen von der Vernetzung der Selbstorganisation und von der Solidarität zwischen aktiven Flüchtlingen und anderen Aktivist_innen haben sich Flüchtlinge in Protestaktionen, Hungerstreiks, Boykotts und zivilen Ungehorsam engagiert. „Wir haben letzten Winter gestreikt, weil wir in unserem Lager in Niederbayern so isoliert leben, dass wir bald verrückt werden. Hier ist nichts außer Wald. Wir können nicht arbeiten, wir können nicht von hier weg. Ich kann noch nicht einmal mein Essen selbst kaufen. Jeder Tag ist gleich, ohne Veränderung und ohne Hoffnung. Aber wir wollen als Menschen leben – das steht uns genauso zu wie den Deutschen. Darum müssen jetzt die Gesetze, die uns unmenschlich behandeln, abgeschafft werden”, betont Suldan Abdallah aus Somalia, der in einem Lager in Böbrach im Bayerischen Wald untergebracht ist. Für dieses Ziel müssen wir gemeinsam aufstehen!
Darum sind Flüchtlinge und diejenigen, die ihre Solidarität mit dem Kampf der Flüchtlinge zeigen wollen, dazu eingeladen, vom 9. bis zum 11. Juni nach Berlin zu kommen. Beteiligt euch an drei Tagen Aktion und Flüchtlingskonferenz, setzt ein starkes Zeichen gegen rassistische und diskriminierende Gesetze!Die Isolation und Unterdrückung durch Asylbewerberleistungsgesetz und Residenzpflicht brechen!
Wir wollen gegen sämtliche diskriminierende Gesetzgebung und Regelwerke, die gegen Flüchtlinge bestehen, kämpfen.
Ein Hauptziel der Kampagne ist die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Dieses Gesetz, das 1993 im politischen Kontext von mörderischem rassistischem Naziterror verabschiedet wurde, bildet die rechtliche Grundlage eines Großteils der diskriminierenden Lebensbedingungen, unter denen Flüchtlinge in der Bundesrepublik leben müssen und gegen die sie sich mit zivilem Ungehorsam, Streiks und Protesten wehren. In diesem repressiven Gesetz ist nicht nur festgelegt, dass Flüchtlinge wesentlich geringere Sozialleistungen erhalten als die ohnehin schon menschenunwürdigen HARTZ IV – Beträge für deutsche Leistungsempfänger_innen, sondern es enthält auch weitere unmenschliche und zermürbende Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Deutschland. So sind diese abhängig von Sachleistungen durch die Behörden, erhalten keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung, sind zum Leben im Lager gezwungen und müssen mit Essenspaketen und Gutscheinsystemen zurechtkommen.
„Wir wollen der Welt mitteilen, dass unsere Situation Tag für Tag schlechter wird (…). Wir leben in einem alten Lager mit veralteten Türen, kaputten Fenstern, Schimmel in den Zimmern, Duschen, Toiletten und Fluren (…). Eine Erlaubnis zum Arzt zu gehen, bekommen wir nicht (…). Wir sind isoliert von der Welt (…). Wir werden bestraft, bloß weil wir hier in Deutschland Asyl suchen.“, bringen die Flüchtlinge aus Zella-Mehlis/Thüringen ihre unerträgliche Situation auf den Punkt, die durch das „Asylbewerleistungsgesetz“ verursacht wird.
Die Abhängigkeit von mickrigen Sozialleistungen wird gesetzlich noch durch Arbeitsverbote und nachrangigen Arbeitsmarktzugang zementiert, der Zugang zu Deutschkursen, Bildung und Ausbildungsmöglichkeiten gezielt und systematisch verwehrt.
Dadurch, dass Flüchtlingen in Deutschland durch die „Residenzpflicht“ jegliches Recht auf Bewegungsfreiheit genommen wird, ist es für sie noch schwieriger, von den Lagern fortzukommen, da diejenigen, die ohne Genehmigung ihren Landkreis verlassen, mit Strafe bedroht sind, wenn sie in einer der zahlreichen rassistischen Polizeikontrollen erwischt werden. Mit durchreglementierten Abläufen, wie der zentralen Ausgabe von Essenspaketen und Taschengeld, werden Flüchtlinge zusätzlich zur dauerhaften Präsenz im Lager genötigt.
All diese und weitere rassistische Sondergesetze bilden gemeinsam einen Gesetzeskomplex der Isolation und der sozialen Ausgrenzung. Das Ziel dieser staatlich verordneten Unterdrückung liegt darin, Flüchtlinge leichter abschieben zu können und Menschen davon abzuschrecken, überhaupt erst nach Deutschland zu kommen.
Zusammen Druck machen!
Die Sache der Flüchtlinge sollte auf keinen Fall den politischen Unterdrücker_innen, den etablierten Parteien oder selbsternannten Expert_Innen überlassen werden. Darum ist es an uns, von der Basis aus politischen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Die politische Entwicklung der letzten Monate hat gezeigt: Parlamentarier_innen befassen sich damit, das Asylbewerberleistungsgesetz zu „diskutieren“ und zu „überarbeiten“, aber das Thema wird ständig nach hinten geschoben. Die parlamentarische Debatte um die „Residenzpflicht“ hat nur die Repression reformiert, wodurch die Opfer weiterhin isoliert werden. Gleichzeitig interessieren sich Politiker_innen vor allem dafür, um Deutschland und Europa herum effektivere Grenzkontrollen gegen Migrant_innen und Flüchtlinge aufzubauen. Wir werden dieses zynische Spiel mit den Rechten und mit der Würde von Flüchtlingen nicht hinnehmen – es reicht!
Für uns steht fest:
Asylbewerberleistungsgesetz und „Residenzpflicht“ sind nicht reformierbar, sondern müssen komplett abgeschafft werden – die Menschenwürde ist nicht verhandelbar!
Menschenwürde, Menschenrechte und Bewegungsfreiheit sind natürliche und unteilbare Rechte!Deshalb fordern wir:
ABOLISH. Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
ABOLISH. Residenzpflicht abschaffen!
ABOLISH. Sämtliche Formen von institutionalisiertem Rassismus abschaffen!
ABOLISH. Rassistische Sondergesetze abschaffen!
ABOLISH. Abschiebungen stoppen!Sorgen wir dafür, dass die Lager der Vergangenheit angehören!Zeitplan für die ABOLISH-Aktionstage und Flüchtlingskonferenz vom 9. bis 11. Juni 2011:
Donnerstag, 9. Juni:
Anreise
Pressekonferenz mit Vertreter_innen der Flüchtlingskämpfe
Dezentrale Aktionen gegen Verfolgung, Isolation und Diskriminierung von Flüchtlingen
Freitag, 10. Juni:
Flüchtlingskonferenz: Die Isolation aus den Lagern heraus durchbrechen!
Später am Nachmittag: Vernetzungsdiskussion zur Fortsetzung der ABOLISH-Kampagne
Samstag:
13 Uhr: Demo
Auftakt Pariser Platz / Brandenburger Tor, vorbei am Bundesministerium für Arbeit und Soziales (verantwortlich für das „Asylbewerberleistungsgesetz“!)
Aufrufende Gruppen u.a.
Antirassistische Initiative (ARI), Contra Racisme – Show Solidarity (corasol), Philemon, Für eine linke Strömung (Fels), Initiative gegen das Chipkartensystem (Chipini), Flüchtlingsinitiative Berlin, Antifa Friedrichshain, Antifa Bündnis Südost (ABSO), Autonome Antifa Berlin (A2B), Linke Liste TU, Flüchtlingsinitiative Berlin/Brandenburg, Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg, Piratenpartei Berlin
2. Aufruf
Diskriminierende Gesetze gegen Flüchtlinge abschaffen!Demonstration | 11.06.2011 | 13 Uhr | Pariser Platz | Berlin
„Viele Gesetze in Deutschland verletzen die Würde von unschuldigen Flüchtlingen“, kritisiert Salomon Wantchoucou von der Flüchtlingsinitiative Möhlau. „Wir leiden unter der Diskriminierung, zum Beispiel durch Lagerunterbringung, Essenspakete oder -gutscheine, Residenzpflicht, Arbeitsverbote, Abschiebungen und staatlichen Rassismus“.
Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen regelt seit 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Die Regelsätze, die schon bei der Einführung des AsylbLG weit unterhalb des Sozialhilfeniveaus lagen, wurden seitdem nicht mehr erhöht und liegen mittlerweile bis zu 40 Prozent unterhalb der Hartz IV-Leistungen. Die Bezugsdauer wurde schrittweise von einem auf vier Jahre erhöht und der betroffene Personenkreis sogar noch auf bleibeberechtigte Flüchtlinge ausgeweitet. Vor allem aber ist in diesem Gesetz festgelegt, dass Unterbringung und Versorgung als Sachleistung erbracht werden sollen. 120.000 Menschen in Deutschland werden dadurch staatlich ausgegrenzt und ihnen wird ein menschenwürdiges Leben verwehrt.
Doch damit könnte bald Schluss sein, denn das AsylbLG wird von mehreren Seiten in die Zange genommen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erklärte es schlicht für verfassungswidrig und legt es dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Die Regelsätze seien, wie bei Hartz IV, willkürlich festgelegt und zu niedrig. Die Bundesregierung räumte die Verfassungswidrigkeit des AsylbLG ein, hat aber noch nichts unternommen, um einer Verurteilung durch das Bundesverfassungsgericht zu entgehen. Gleichzeitig evaluiert das Bundesarbeitsministerium das Sachleistungsprinzip des AsylbLG – die FDP hatte die Abschaffung dieses Prinzips bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene gefordert, setzte sich jedoch nicht gegen CDU und CSU durch. Grüne und Linke haben konsequenterweise gleich die komplette Abschaffung des AsylbLG im Bundestag beantragt.
Ebenfalls unter Druck gerät das AsylbLG durch die Flüchtlinge, die darunter leiden müssen: Gerade in den Bundesländern, die es am rigidesten anwenden, brodelt der Protest. Flüchtlinge und ihre Unterstützer_innen initiierten die Kampagne „Abolish! Diskriminierende Gesetze gegen Flüchtlinge abschaffen“.
Am 22.03.2011 fand zum Auftakt der Kampagne ein bundesweiter Aktionstag in 28 Städten in 13 Bundesländern statt. Als weiteren Schritt organisieren Flüchtlinge und ihre Unterstützer_innen im Rahmen von Aktionstagen von 9. bis 11. Juni 2011 in Berlin eine Flüchtlingskonferenz. Sie fordern die Abschaffung des AsylbLG und anderer diskriminierender Sondergesetze und rufen zur Teilnahme an der bundesweiten Großdemonstration am 11. Juni 2011 in Berlin auf.
Wir erleben derzeit einen historischen Moment: Das AsylbLG kommt nach 18 Jahren zum ersten Mal auf den Prüfstand, ohne dass das Ergebnis feststeht – es ist alles möglich, von einer vorsichtigen Reform bis hin zur vollständigen Abschaffung. Gerade jetzt ist unser Protest wichtig: Kommt nach Berlin und beteiligt euch an der Demonstration! Bringt eure Nachbarn, Freund_innen und Kolleg_innen mit! Und vor allem: Ermöglicht den Bewohner_innen von Flüchtlingslagern in eurem Landkreis, an den Aktionstagen teilzunehmen und übernehmt deren Fahrtkosten.
ABOLISH! Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
ABOLISH! Menschenwürdige Existenzsicherung und gleiche Rechte für alle!
ABOLISH! Diskriminierende Sondergesetze gegen Flüchtlinge abschaffen!3. Aufruf
Fight RacismRassismus beschränkt sich nicht auf die Hetze und Übergriffe durch Neonazis und andere widerliche Deutsche. Er durchzieht und strukturiert die ganze Gesellschaft, in der wir leben und weist uns unsere Position in dieser zu. Er ist in Gesetze und Maßnahmen des Staates gegossen und baut so Grenzen zwischen den Menschen auf. Diese begrenzen sich nicht auf die europäischen Außengrenzen, die zu einem hoch militarisierten Bollwerk gegen Flüchtlinge aufgebaut wurden. Rassistische Sondergesetze wie das „Asylbewerberleistungsgesetz“ ziehen diese Grenzen bis weit ins Innere der Gesellschaften, bis in unsere unmittelbare Nähe und unseren Alltag hinein: als Bewegungsverbote („Residenzpflicht“), als Einschränkung der Selbstbestimmung über den Wohnort („Heimnterbringung“) und die Dinge des täglichen Bedarfs („Sachleistungsprinzip“).
Doch wie jedes Herrschaftssystem produziert der (staatliche) Rassismus nicht nur Unterdrückung sondern auch Widerstand. Tagtäglich überwinden Flüchtlinge die Mauern der Festung Europa. Tagtäglich wehren sich Flüchtlinge gegen die Zumutungen dieser rassistischen Gesellschaft: in dem sie der Abschiebemaschinerie die Zusammenarbeit verweigern; in dem sie sich der Abschiebung durch den Gang in die Illegalität oder die Schutzehe entziehen; und in dem sie sich gegen ihre erzwungenen Lebensbedingungen wehren. Flüchtlinge im gesamten Bundesgebiet organisieren sich selbst und kämpfen gegen ihre Unterbringung in Lagern, gegen die Sachleistungen und für eine Arbeits- sowie Aufenthaltserlaubnis. Sie vernetzen sich mit anderen Flüchtlingen und Unterstützer_innen, organisieren Demonstrationen und verstoßen dabei bewusst gegen die Residenzpflicht. Sie treten in den Hungerstreik und verweigern die Annahme der Essenspakete und die Arbeit in den Lagern.
Ausgehend von diesen lokalen Kämpfen haben sich selbstorganisierte Flüchtlinge gemeinsam mit Unterstützer_innen in der Kampagne ABOLISH! – Diskriminierende Gesetze gegen Flüchtlinge abschaffen! zusammengeschlossen. Bereits im März gingen an einem bundesweiten Aktionstag Flüchtlinge und antirassistische Aktivist_innen in 26 Städten auf die Straßen. Vom 9. bis 11. Juni werden als weiterer Schritt der Kampagne in Berlin antirassistische Aktionstage und eine Konferenz von Flüchtlingen stattfinden. Abschluss der Aktionstage ist eine Demonstration von Flüchtlingen am Samstag, auf der auch Unterstützer_innen herzlich willkommen sind.
In ihrem Kampf gegen rassistische Sondergesetze („Asylbewerberleistungsgesetz“) im Speziellen und gegen rassistische Herrschaft im Allgemeinen wollen wir die Flüchtlinge unterstützen. Dabei ist es notwendig unsere eigene Position in diesem Herrschaftssystem und dem Widerstand dagegen zu reflektieren. Als mehrheitlich „Weiße“ mit deutschem Pass, also als tendenziell Privilegierte dieses Herrschaftssystems gehen wir Unterstützer_innen aus anderen Gründen und mit anderen Voraussetzungen in diese Auseinandersetzung. Eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, eine solidarische Gesellschaft, ist jedoch nur durch die Aufhebung aller Herrschaftsverhältnisse möglich. Praktische Solidarität mit den Betroffenen – vom Unterhöhlen des staatlichen Rassismus durch Antira-Einkäufe und -Ehen, über direkte Angriffe auf die Abschiebemaschinerie und ihre Profiteure durch den Aufbau von politischen Druck bis zur logistischen Unterstützung der Selbstorganisierung von Flüchtlingen – ist daher notwendig.
Gegen rassistische Sondergesetze und Abschiebeterror! Für eine Gesellschaft ohne Grenzen!
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