The future is unwritten

Demonstration am 30. April in Leipzig mit bekleidender Veranstaltungsreihe:

… „ die Krise wäre vermeidbar gewesen?“…

Die Krise sei vorbei titelten Ende 2010 Zeitungen im In- und Ausland. Die Konjunkturdaten stehen auf grün und vor allem die deutsche Wirtschaft vermeldet einen neuen Boom. Die Verlautbarungen erfolgen nach einem eingespielten Ritual, dass die gesellschaftliche Bewusstlosigkeit demonstriert: Nach jeder Krise wird behauptet, sie sei überwunden, man habe die richtigen Mittel gefunden, eine erneute Krise zu verhindern und ist dann alle paar Jahre wieder schockiert, wenn „auf einmal“ die Aktienkurse wieder in den Keller stürzen.
Die Ursache der Wirtschaftskrise 2008 bis 2009 läge darin, dass das Verhältnis zwischen Finanz- und Realwirtschaft in ein Ungleichgewicht geraten sei: Nach dieser Deutung habe sich das internationale Kredit- und Bankensystem lieber mit faulen Krediten und Immobilienspekulationen beschäftigt, anstatt der Realwirtschaft günstige Kredite zur Verfügung zu stellen. Diese Interpretation stellt jedoch das Konzept von Kapitalismus grundlegend auf den Kopf. Die Krise ging nicht von der Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft über, sondern die Krise in der Produktion hatte die Blasen hervorgebracht, die 2008 platzten.
Die vergangene Krise resultierte tatsächlich aus einem veränderten Verhältnis von Finanz- und Realwirtschaft. Im Zeitalter des Fordismus entstanden Krisen aus der Überproduktion, in der das investierte Kapital Überkapazitäten von Waren hervorbrachte, denen nicht genügend Konsument_innen gegenüberstanden. In den Zeiten zwischen den Krisen sorgte die Massenproduktion für eine massive Verbilligung der Konsumgüter und schuf mit der systematischen Erhöhung der Löhne zugleich Abnehmer_innen. Im Verlauf der so genannten „Dritten Industriellen Revolution“ der 70er Jahre kommt es durch Technologisierung, Flexibilisierung und Verschlankung von Unternehmensstrukturen zu einer bisher nicht gekannten Freisetzung von Arbeitskräften als „Überflüssige“ und damit zur dauerhaften Massenarbeitslosigkeit. Unter dieser Konkurrenz kommt es zu einer Lohnstagnation sowie einer unternehmensfreundlichen Politik der Deregulierung. In der Folge sank die Menge an Geld, die für Konsumgüter ausgegeben wurde, im Verhältnis zu den wachsenden Gewinnen der Unternehmen, die als Kapital wieder nach rentablen Investitionen suchten. Die Überproduktion wurde zum Dauerzustand, der bis heute anhält, weshalb die Gewinnzuwächse zunehmend durch Finanzgeschäfte erzielt werden mussten. Nominell wurde auf Ansprüche in der Realwirtschaft spekuliert, die jedoch längst nicht mehr gedeckt sind. In jeder Krise zeigt sich dies, wenn Kredite zurückgezahlt werden sollen und das ganze Kartenhaus in sich zusammenfällt. Diese so genannte Finanzialisierung ist folglich nicht Ausdruck davon, dass das Kapital „seine Aufgabe“ vergessen hätte, sondern dass ihm die Selbstverwertung in der Produktion nicht mehr möglich ist. Umkehrbar ist dieser Prozess genauso wenig, wie irgendwelche Manager_innen oder Bankiers ihn betrieben haben.

… „Arbeit ist doch notwendig?“…

In den klassischen Industriestaaten reagieren Staat und Kapital auf die Krise mit einer zunehmenden Fokussierung auf die Arbeitsmarktpolitik. Ähnlich wie Kapital soll auch Arbeit mobil und flexibel sein. Gesetzliche Regulierungen werden entschärft, die Rechte von Gewerkschaften beschnitten. Diese Entwicklung findet seine Fortsetzung in der verstärkten Anwendung und staatlichen Förderung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Zeit- oder Leiharbeit. Bestehende Arbeitsverhältnisse unterstehen einem wachsenden Konkurrenzdruck und müssen durch ihre Inhaber_innen kontinuierlich mit Leistung und Anpassung verteidigt werden. Mit der Einführung der Hartz Gesetze in Deutschland wurde ein repressiver Rahmen geschmiedet, der die Menschen für Tätigkeiten bereithalten soll, die es nicht mehr gibt. Während die technologische Entwicklung Arbeit zunehmend überflüssig macht, herrscht weiterhin die Auffassung, jeder kann und muss arbeiten. Diese Ideologie teilen nicht nur wirtschaftsliberale Politiker_innen, sondern vielmehr ein Großteil der deutschen Gesellschaft.
Die Identifikation mit Arbeit ergibt sich zum einen aus ihrer Rolle in der sozialen Integration und zum anderen aus der Naturalisierung der Arbeit im Kapitalismus. In der Tat ist es so, dass Menschen erst durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft den nötigen Lohn erhalten, welcher für ein allgemeines Leben gebraucht wird. Gleichwohl staatliche Transferleistungen eine „Grundsicherung“ garantieren, ist die wirkliche Anbindung an das soziale und kulturelle Leben erst durch Erwerbsarbeit möglich. Dass sie im Kapitalismus nichts als ihre Arbeitskraft sind, wird ihnen zur zweiten Natur, so als ob ein Leben ohne Arbeit keines mehr wäre.
Diese ist jedoch keine Bezeichnung für notwendige Tätigkeiten, die der Befriedigung von Bedürfnissen dienen. Sie ist nur der erfreuliche Nebeneffekt, der notwendig ist um die Waren absetzen zu können, die allein zur Gewinnsteigerung hergestellt wurden. Die Verausgabung von Arbeitskraft ist die Grundlage des Reichtums, da sie als einzige Ware nicht nur ihren Wert auf die Endprodukte überträgt, sondern neuen schafft. Allerdings ist es nicht der_die einzelne Arbeiter_in, der_die mit einer konkreten Tätigkeit Wert produziert. Dieser resultiert aus der durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit, die für ein bestimmtes Produkt benötigt wird. Real wird er jedoch erst im Vergleich zu anderen Waren auf dem Markt, wenn er in Geld umgesetzt wird. Erst an diesem Punkt zeigt sich, ob die Investition in Arbeitskraft, Investitionsgüter und Rohstoffe eine erfolgreiche Spekulation war. Es ist deshalb wichtig, noch einmal hervorzuheben, dass Arbeit im Kapitalismus auf die Erzeugung von Mehrwert und nicht auf sinnvolle Gegenstände zielt. Konsequent ist es deshalb, dass eigentlich blödsinnige Arbeiten, etwa der Versuch der Werbung Menschen ihre Bedürfnisse aufzuzeigen, als notwendig gesehen werden, weil sie dem Verkauf der Produkte dient. Andere, menschlich unabdingbare Tätigkeiten, wie diskutieren, soziale Netzwerke aufzubauen oder Kinder zu erziehen, fallen raus, so lange sie nicht zur Gewinnschöpfung herangezogen werden können.

…“Es ist doch alles nicht so schlimm?“

Während das Normalarbeitsverhältnis in Europa zunehmend bröckelt und durch neue Formen der flexiblen Arbeitsverhältnisse ersetzt wird, erinnern die Produktionsformen in den aufstrebenden Wirtschaftsräumen der Erde an das Zeitalter der Industrialisierung. Einerseits dürfen Menschen ihre Arbeitszeiten und –plätze selbst bestimmen. Andererseits müssen Menschen gegen elendige Löhne Fließbandarbeit, 12 Stunden Arbeitstage, sowie verschärfte Repression durch die Unternehmensleitung und den Staat ertragen. Nicht nur Arbeiter_innen der Uranminen in afrikanischen Ländern oder Textilarbeiter_innen in China erleben die Arbeitsbedingungen als unzumutbar. Selbst in den privilegierten Teilen der Welt verstärken verschärfte Arbeitsbedingungen zunehmend psychisches und physisches Leid. Obwohl im Vergleich die Verhältnisse in den privilegierten Teilen immer noch besser erscheinen. Gegenüber den Lebensbedingungen früherer Gesellschaften habe der Kapitalismus für die breite Masse enorme Verbesserungen gebracht: Niemand muss mehr Hunger leiden, viele Krankheiten sind heilbar und darüber hinaus gibt es die Möglichkeit sich mit allerlei Konsumgütern zu vergnügen.
Im Bewusstsein der Menschen findet das Elend der Welt jenseits der Staatsgrenzen jedoch keinen Platz. Denn während der Weltmarkt eine globale Gesellschaft begründet, in der Produktionsketten sich über mehrere Kontinente verteilen, bleibt das nationale Kollektiv primärer Bezugspunkt der Politik. Deshalb können die hoch entwickelten kapitalistischen Staaten den Kapitalismus als Wohlstandsbringer feiern. „Festung Europa“ beschreibt wie der Verbund verschiedener Nationalstaaten seinen privilegierten Platz im globalen Hamsterrad der Produktion mit Gewalt verteidigt. Hier wird die Demokratie gefeiert, die nach außen mit Diktatoren und autoritären Regimen zusammenarbeitet. Menschen, die vor Armut und Unterdrückung fliehen wollen und ihre persönliche Verfolgung nicht nachweisen können, werden kriminalisiert. Viele, die es trotz aller Schikanen schaffen in die EU zu kommen, sehen sich gezwungen, so gut wie rechtlos in der „Illegalität“ zu leben. Vor allem in Deutschland müssen die bis zu 1 Millionen Personen ohne Aufenthaltserlaubnis ständig damit rechnen, eingesperrt und abgeschoben zu werden – In dem Staat, der die Überwindung der Berliner Mauer als Revolution für die Freiheit feiert. Nicht nur das Leid unterscheidet die heutigen Flüchtlinge von denen aus der DDR damals, sondern die Zugehörigkeit zum richtigen Kollektiv.
Wenn es zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten kommt, geht es nur um die allgemeine Durchsetzung der Rahmenbedingungen kapitalistischer Verwertung. Soziale Absicherung und Arbeitnehmerschutz spielen dabei so gut wie keine Rolle. Auf EU-Ebene heißt das wirtschaftliche Einheit ohne übernationale Sozialgesetzgebung und zwingt so die Staaten in die Konkurrenz um den attraktivsten Standort. In der Folge versuchen sie sich mit Sozialkürzungen und Steuererleichterungen für Unternehmen zu übertreffen.

…“die Soziale Marktwirtschaft wird den Kapitalismus befrieden?“…

In Deutschland wird die „soziale Marktwirtschaft“ als vorbildliches Modell für die ganze Welt angepriesen. Sie sei die Form, in der der Kapitalismus eingehegt und befriedet wird, die gesellschaftlichen Widersprüche im nationalen Interesse aufgehen und Krisen nicht mehr vorkommen. Nur von außen oder innen kommende Kräfte, die parasitär das nationale Aufbauprojekt sabotieren, können das Wunder noch verhindern. Der Staat soll als Gewaltmonopolist die heimelige „Solidargemeinschaft“ vor diesen feindlichen Elementen schützen. Vor Auschwitz wurden „die Mächte“, die in der „unproduktiven“ Finanzwelt ausgemacht wurden mit „den Juden“ identifiziert, die zur Gegenrasse erklärt wurden. Heute müssen Funktionsträger_innen aus der Finanzsphäre herhalten, die zwar nicht mehr biologisiert werden, aber in der Phantasie oder als Puppe am Galgen landen, wie bei den Krisenprotesten 2009 in London.
Die Menschen fühlen sich von Mächten betrogen, die sich nicht an die Spielregeln halten, weil ihnen der Wohlstand verwehrt bleibt, der die Belohnung für ihre Anstrengung und Plackerei sein soll. Dieses Gefühl hat seine Wahrheit darin, dass sie in der Tat betrogen sind. Allerdings nicht von denen, die sich nicht an die Regeln halten, sondern von den Regeln, die eine Gesellschaft festschreiben, in der sie nur Anhängsel der Produktion sind. Niemand wird übervorteilt, es ist das Resultat der Konkurrenz, dass viele trotz körperlicher und psychischer Aufarbeitung gesellschaftliche Verlierer werden und bleiben. Die, die sich als Gewinner fühlen, ahnen es zumindest: Jobs können verloren gehen, Sparkonten und Aktien sich in Luft auflösen und Häuser an Wert verlieren.

…“Vater Staat wird’s schon richten?“…

Wenn die Leute an den Staat appellieren, für sie zu sorgen, vergessen sie, dass es primär nicht seine Aufgabe ist, die Menschen vor den Zumutungen des Kapitalismus zu schützen. Zwar muss der Staat um den sozialen Frieden zu erhalten und um zu verhindern, dass große Teile der Bevölkerung als Arbeitskräfte ausfallen, auf deren Interessen durchaus eingehen. Und die genaue Gestaltung der Politik ist umkämpft und erlaubt Reformen, die das Leben erträglicher machen. Allerdings bleibt sie von der volkswirtschaftlichen Leistung und somit von der Attraktivität des Standortes abhängig. Jenseits davon sorgt er für die Anpassung der Bevölkerung an die Spielregeln des Kapitalismus. Von früh auf werden die Kinder durch Erziehung und Bildung darauf getrimmt, das Leistungsprinzip zu verinnerlichen und als willige Arbeitskräfte bereit zu stehen. Die Aufrechterhaltung der Ordnung und damit nicht zuletzt der exklusive Zugriff auf den gesellschaftlichen Reichtum, wird zudem durch schwer bewaffnetes Personal garantiert. Doch die offene Gewaltanwendung bzw. -drohung ist nur gegen die notwendig, die es wagen aus dem vorgegebenen Rahmen auszubrechen. Sie entfaltet darüber hinaus jedoch eine disziplinierende Wirkung auf den Rest der Gesellschaft, der aus Angst, den eigenen Unwillen gegen das tägliche Rackern zu entdecken, sich gegenseitig im Konformismus gefangen hält. Wer keine Arbeit hat, steht im Verdacht faul auf der Haut zu liegen und wird den Unmut darüber oft genug spüren. Zum moralischen Druck kommt der der staatlichen Elendsverwaltung hinzu, die Transferzahlungen von der permanenten Demonstration des Arbeitswillens abhängig macht, bis auch der und die letzte kapiert hat: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.
Alle vier Jahre dürfen die Wähler_innen ihre obersten Verwaltungsfunktionär_innen bestimmen, die es ihnen abnehmen, politische Konzepte zu erarbeiten und Entscheidungen zu treffen. Der bürokratische Apparat von Beamtenschaft, Parteien und Gewerkschaften lässt den Großteil der Bevölkerung als passive Masse zurück, die nicht einmal die vorhandenen Möglichkeiten zur Organisierung, Meinungsäußerung und öffentlichen Diskussion nutzt. Die, die sich nicht damit begnügen wollen, an der Optimierung der herrschenden Verhältnisse mitzuwirken, werden überwacht und in ihre Schranken verwiesen.
Denn die autoritäre Demokratie hat sich zum Selbstzweck erkoren und bekämpft die von ihr so bezeichneten Extremisten allein aufgrund ihrer Ablehnung des Grundgesetzes. Ob sie für eine freiere Gesellschaft kämpfen, oder im Namen einer Schicksalsgemeinschaft die Vernichtung von Menschen auf die Tagesordnung setzen wollen, ist so gut wie irrelevant. Bei einer inhaltlichen Auseinandersetzung würde sich ja bald die Frage stellen, wie Abschiebeknäste und Hartz IV „die Würde des Menschen“ bewahren. Demonstrationen werden mit absurden Auflagen drangsaliert und stehen unter strenger Bewachung, um den kleinsten Verstoß als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit zu unterdrücken. Kritik, die konsequent ist, wird als „diskursorientierter Linksextremismus“ delegitimiert. Nicht nur die Vorfälle Anfang 2011 in Heidelberg und Berlin zeigen, dass Staats- und Verfassungsschutz selbst gesellschaftlich kaum bedeutsame Gruppen fest im Blick haben. Der Repression kommen große Teile der Zivilgesellschaft in vorauseilendem Gehorsam mittels pflichtbewusster Distanzierung von nichtstaatlicher Gewalt entgegen. Erfreulicherweise regt sich hier noch Widerstand gegen die autoritäre Demokratie und ihren Antiextremismus.

…Definitiv nicht!“

Es ist der herrschende Zustand der Gesellschaft, der sich zu rechtfertigen hat und nicht die Kritik an ihm. Diese Gesellschaftsformation, die Güter im Überfluss produziert, während tausende verhungern oder an heilbaren Krankheiten sterben, muss überwunden werden. Wir haben kein Patentrezept, trotzdem meinen wir, einige Bedingungen emanzipatorischer Praxis ausmachen zu können. Das Konzept des Reformismus, den Kapitalismus zu beschränken, ist gescheitert. Seine Errungenschaften wurden zwar erkämpft, waren jedoch einer historischen ökonomischen Situation geschuldet. Die Verteidigung des Sozialstaats, so sehr sie wünschenswert wäre, wird zunehmend zur Illusion. Der entschiedene Bruch mit der bestehenden Ordnung ist angesichts dessen die einzige Möglichkeit, eine vernünftige Gesellschaft zu erlangen, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet.
Uns ist aber klar, dass der Aufruf zur Revolution heute nicht auf der Tagesordnung steht. Nicht nur, weil völlig unklar ist, an wen er sich richten sollte oder wer ihm nachkommen sollte. Der Hass auf Personengruppen, die für den Kapitalismus verantwortlich gemacht werden, lässt zudem eher eine Orgie der Gewalt und die Installierung einer neuen oder schlimmeren Herrschaft erwarten, als eine Assoziation freier Menschen. Die Utopie einer befreiten Gesellschaft ist längst nicht mehr unschuldig. Zu viel Blut ist in ihrem Namen vergossen worden, als dass ihre Verwirklichung naiv eingefordert werden könnte.

Dieser Vergangenheit wird man nicht durch das Ausmalen einer (neuen) Utopie entkommen. Wir wollen auch nicht bis zu ihrer Verwirklichung warten, sondern im Hier und Jetzt für Verbesserungen kämpfen. Der Widerstand gegen Sozialkürzungen oder die Einforderung einzelner Reformen, und die Erkämpfung von Freiräumen als Ort der Kritik und Praxis, so sehr sie auch in die herrschende Gesellschaft eingebunden sind, bleiben deshalb unabdingbar. Realpolitik kann unserer Auffassung nach nicht mehr leisten, als für eine Reformierung der bestehenden Verhältnisse zu sorgen. Radikal kann sie jedoch nicht sein, denn eine schrittweise Überwindung des Kapitalismus gegen seine Prinzipien ist unmöglich. Vielmehr müsste diese die Abschaffung des Staates beinhalten, dessen Struktur durch die hierarchischen Apparate der Parteien mitreproduziert werden. Dennoch können Veränderungen in deren Rahmen Bewusstseinsprozesse in Gang bringen und materielle Grundlagen schaffen, die die Überwindung des Kapitalismus erst in die Reichweite des Möglichen rücken könnten. Allerdings muss dabei klar sein, dass das eigentliche Ziel die Aufhebung der eigenen Form der Praxis ist. Mehr als fraglich ist jedoch die Annahme, dass hierarchische und bürokratische Organisationen sich selber abschaffen werden. Widerstand kann deshalb nicht nur in den Apparaten, sondern muss auch gegen sie erfolgen.
Um überhaupt an eine weiterführende Praxis zu denken, ist es jedoch notwendig, die bestehende Ordnung gegen alle regressiven Tendenzen zu verteidigen. Dies meint nicht nur den Kampf gegen national befreite Zonen, sondern ebenso den gegen Antisemitismus in all seinen Gewändern oder gegen den Islamismus. Zahlreiche andere wahnhafte Vorstellungen von der Esoterik bis zum christlichen Fundamentalismus mögen zwar nicht unmittelbar auf die Etablierung einer autoritären Ordnung abzielen, drohen dennoch zahlreiche Errungenschaften der Aufklärung zunichte zu machen.
Da die heutige Gesellschaft wesentlich durch das Bewusstsein ihrer Mitglieder herrscht, kann nur Kritik eine emanzipatorische Perspektive eröffnen. Politische Praxis bedeutet unter heutigen Umständen deshalb nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit allen Denkmustern, die den Protest gegen die Folgen dieser Gesellschaft in die Bejahung derselben verwandelt. An Befreiung ist erst zu denken, wenn unter anderem der Arbeitsfetisch durchschlagen wird und die Menschen aufhören ihre Verwertung einzufordern, statt mit ihr zu brechen. Und wenn der Staat nicht länger als Garant des guten Lebens gilt, sondern als das erkannt wird, was er ist: Ein gigantischer Zwangsverband.
Der Kapitalismus mag unüberwindlich und seine Einrichtung der Natur des Menschen entsprechend erscheinen, doch er ist es nur, weil wir uns eine andere Organisation des Zusammenlebens nicht mehr denken können. Er reproduziert sich durch das Denken und Handeln der Menschen und kann durch diese auch wieder abgeschafft werden. Das, was war und das, was ist, ist nicht alles, was möglich ist.

The future is unwritten – Für eine Perspektive jenseits von Arbeitswahn und Staatsfetisch!

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