Aktionstag gegen die Extremismusklausel

…wehrt Euch, der Staat wird zum Staat…!

01. Februar 2011

Extreme Zeiten: Sechs gute Gründe gegen die Extremismuserklärung zu protestieren

Derzeit sind viele Träger von Projekten gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus mit der Tatsache konfrontiert, dass das Bundesfamilienministerium im Rahmen der Förderung aus dem neuen Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ das Unterzeichnen einer so genannten Demokratieerklärung gegen Extremismus verlangt.

Diese Erklärung und die Hinweise zur Erklärung für Demokratie werden mit den Zuwendungsbescheiden an die Träger zur Unterschrift verschickt. Der Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Ulrich Battis kam in einem Gutachten zu dem Schluss, dass Teile der Erklärung verfassungsrechtlich bedenklich sind. Der Zwang, diese Erklärung zu unterzeichnen, sorgt seit Monaten für Unmut, Kritik und Protest unter den betroffenen Projekten, bei Wissenschaftler_innen und Politiker_innen (vgl. http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/rebellion-gegen-kristina- schroeder).

Diese juristische Einschätzung und die massiven Einwände gegen die Zwangserklärung haben jedoch von Seiten des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) lediglich zu geringen kosmetischen Kürzungen innerhalb der seit Oktober 2010 kursierenden Erklärung geführt. Die nunmehr vom BMFSFJ versandten vierseitigen Hinweise zur Erklärung für Demokratie lassen keinerlei Zweifel mehr zu: Das BMFSFJ verlangt künftig von Trägern der Demokratie- Arbeit, den potenziellen Partner_innen mit Misstrauen zu begegnen und sie im Zweifel beim BMFSFJ, der neu eingerichteten Bundesprogramm-Regiestelle beim Bundesamt für Zivildienst oder beim Verfassungsschutz als extremistisch zu melden.

Die ersten Vereine und Projekte stehen bereits jetzt vor der existenziellen Entscheidung, die anti-demokratische Erklärung des BMFSFJ zu unterschreiben, um die wertvolle Arbeit gegen Rechtsextremismus vor Ort nicht zu gefährden oder die Unterschrift zu verweigern und damit potenziell die eigene Arbeit beenden zu müssen, mit weit reichenden Konsequenzen für Engagierte und Betroffene rassistischer und rechtsextremer Gewalt vor Ort.

Sechs gute Gründe, sich gemeinsam gegen diese Erpressung zur Wehr zu setzen:

I. Jeder demokratische Staat braucht eine starke Zivilgesellschaft, insbesondere in Regionen, in denen demokratische Normen und Werte nicht verankert sind.

Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 das erste staatliche Förderprogramm gegen Rechtsextremismus und für Demokratie unter dem Namen CIVITAS einsetzte, ging es auch um einen Paradigmenwechsel: weg von der starken Fixierung der Förderprogramme der frühen 1990er Jahre auf die Täter, hin zu einer Förderung derjenigen, die durch Rechtsextremismus am stärksten bedroht werden und sich vor Ort für demokratische Werte einsetzen. Jetzt, zehn Jahre später, wird genau diesen Gruppen, kleinen antifaschistischen Initiativen ebenso wie kirchlichen Trägern oder Betroffenen neonazistischer Gewalt ein besonderes staatliches Misstrauen entgegen gebracht. Wer sich dem Bekenntnis- und gegenseitigen Bespitzelungszwang nicht beugen will, ist nun schutzlos rechtsextremen und rassistischen Bedrohungen ausgesetzt.

Wie soll ein junger Punk, der Opfer eines neonazistischen Angriffs wurde, sich vertrauensvoll an eine Beratungsstelle wenden, wenn er damit rechnen muss, erst einmal auf seine Gesinnung überprüft zu werden? Genießen die Mitglieder der vom BMFSFJ inkriminierten Organisationen einen geringeren Schutz vor Übergriffen, weil sie sich kritisch auf das im Grundgesetz nicht festgeschriebene Wirtschaftssystem beziehen? fragt Prof. Dr. Gesine Schwan. Anlässlich der Verleihung des Sächsischen Demokratiepreises hatte die Politikwissenschaftlerin Schwan in einer Rede die von den Preisträgern verlangte inhaltsgleiche Extremismuserklärung durch das sächsische Innenministerium scharf kritisiert.

II. Allzu oft sind staatliche Akteure Teil des Problems und nicht der Lösung, wenn es um effektive Auseinandersetzung mit der extremen Rechten geht.

Mit der Extremismuserklärung und der vierseitigen Erklärung für Demokratie verfolgt das BMFSFJ vor allem ein Ziel: Die Zivilgesellschaft auf diesem Feld wieder zurückzudrängen und damit die Deutungshoheit der staatlichen Akteure Justiz, Polizei, Verfassungsschutz und in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zurückzugewinnen. Doch leider sind noch immer Teile dieser Institutionen ein Teil des Problems , weil ihre Haltung gegenüber Neonazis häufig bestenfalls von Ignoranz und schlimmstenfalls von einem paternalistischen Verständnis geprägt ist.

III. Geheimdienste sind politische Akteure und keine neutralen Instanzen Das BMFSFJ rät den Projekten in seinen Erklärungen dazu, den Verfassungsschutz und seine Berichte zurate zu ziehen bei der Frage, wer oder was extremistisch sei.

Das BMFSFJ verschweigt dabei bewusst, dass beispielsweise die Landesämter für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und Bayern erst vor kurzem gerichtliche Niederlagen bei der Einstufung antifaschistischer Zeitungen und Archive als linksextremistisch hinnehmen mussten und dass umgekehrt alle Landesämter ebenso wie das Bundesamt für Verfassungsschutz eine lange Tradition haben, militante neonazistische Strukturen durch den Einsatz von V-Leuten und bezahlten Informant_innen direkt und indirekt zu fördern. Bekanntlich ist das NPD-Verbot an deren Einsatz gescheitert. Gleichzeitig enthalten die Geheimdienste der Zivilgesellschaft und den Bürger_innen zentrale Informationen über rechte Strukturen vor und sind nicht in der Lage, öffentlich zugängliche Quellen adäquat zu interpretieren.

IV. Minderheitenfeindliche Einstellungen und Haltungen sind ein Problem der Mitte.

Wie irreführend die Verwendung des Extremismusbegriffs ist, kann man u.a. an den neuesten empirischen Befunden zum Rechtsextremismus erkennen, die diese antidemokratische Einstellung soziologisch eben nicht an den extremen Rändern der Gesellschaft, sondern in ihrer Mitte vorgefunden haben , schreibt Prof. Dr. Gesine Schwan.

V. Der Begriff des Extremismus führt in der Auseinandersetzung mit rechtsextremer Gewalt, Antisemitismus und Rassismus in eine Sackgasse.

Rechtsextreme zielen auf die Abwertung, Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung von Bevölkerungsgruppen, die nicht zur völkisch-rassenreinen Gemeinschaft gehören gegründet auf Ungleichheits- bzw. Überlegenheitsideologien, die ein gleichberechtigtes Miteinander unterschiedlicher Menschen ( Vielfalt ) bekämpft , schreibt der Politikwissenschaftler Prof. Roland Roth. Die tödliche Dimension rechtsextremer Gewalt wird anhand der Tatsache deutlich, dass mindestens 137 Menschen seit 1990 Opfer politisch rechts oder rassistisch motivierter Tötungsdelikte wurden; Zehntausende wurden in diesem Zeitraum von rassistischen und rechten Schlägern verletzt manche der Betroffenen leiden noch immer an den physischen und psychischen Folgen dieser Gewalttaten. Hintergrund dieser Gewalt ist eine Ideologie, die Menschen qua Geburt, Herkunft oder Einstellung ihre Würde, ihre Rechte und ihr Lebensrecht abspricht.

Rechtsextreme Einstellungen und Handlungen bilden den extremen Gegenpol zum Ideal von Zivilität im Sinne einer demokratischen und gewaltfreien Zivilgesellschaft , so Roland Roth. Die Phänomene Faschismus und Antifaschismus in eins fassen zu wollen, entbehrt zudem jeder historischen und ethischen Rechtfertigung. Keine dieser Dimensionen erlaubt die leichtfertige Nivellierung im Begriff des Extremismus .

VI. Mit der Extremismuserklärung wird ein Klima des Misstrauens und der Denunziation gefördert.

Die Extremismuserklärung stellt alle diejenigen unter Generalverdacht, die sich täglich für praktizierte Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren. Sie tun dies im Wissen, dass ihre Autos, ihre Wohnungen und Büros Ziele neonazistischer Brandanschläge sind und dass sie selbst potenziell mit körperlichen Angriffen rechnen müssen. Ihr oft mühsamer Einsatz für die alltägliche Umsetzung demokratischer Werte und die gleichberechtigte, gesellschaftliche Teilhabe möglichst vieler Menschen sollte gewürdigt und nicht durch ein Klima des Misstrauens behindert oder gar unmöglich gemacht werden. Ein tragfähiges Bekenntnis zur Demokratie kann nicht auf ordnungspolitischen Erwägungen basieren. Es setzt ein qualitatives, auf der Anerkennung der unteilbaren Menschenwürde beruhendes Demokratieverständnis voraus, in dem Unterschiede, Kritik und politische Auseinandersetzung nicht nur ausgehalten, sondern als Voraussetzung für eine gelebte, sich kontinuierlich weiter entwickelnde Demokratie begrüßt und gefördert werden.

Jetzt sind gemeinsame Proteste notwendig: Aktionstag am 1. Februar 2011

Blog: Aktionstag gegen Bekenntniszwang

Wir wollen nun noch einmal durch gemeinsame Proteste versuchen, das BMFSFJ zum Verzicht auf Absatz 2 und 3 der Demokratieerklärung zu bewegen. Denn wir wollen die Idee, dass nur eine lebendige Demokratie glaubwürdig für demokratische Werte eintreten kann, nicht aufgeben. Nach intensiven Diskussionen unter vielen unterschiedlichen Trägern und Projekten aus Ost- und Westdeutschland sind wir davon überzeugt, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, gemeinsam sowohl gegenüber Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) als Herrin über die Programme, als auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darauf zu dringen, dass diese Bespitzelungsaufforderungen aus den Zuwendungsbescheiden ersatzlos gestrichen werden.

a) Dafür rufen wir dazu auf, an einem Aktionstag am 1. Februar 2011 Protestfaxe, E-Mail-Erklärungen und Facebook-Einträge an das Bundesfamilienministerium und das Bundeskanzleramt zu schicken. (Die Empfängeradressen und eine Vorlage für ein Protestschreiben finden sich im Anhang). Diese Protestschreiben sollen gesammelt und dokumentiert werden. Bitte mailen Sie daher jegliche Protestschreiben in cc / Kopie auch an: extreme_zeiten@gmx.de .

b) Darüber hinaus ist es sinnvoll, wenn sich befreundete Träger in den einzelnen Bundesländern zusammenschließen und gemeinsam die jeweils zuständigen Landesministerien bitten, beim BMFSFJ gegen die Bespitzelungsklauseln in den Zuwendungsbescheiden zu protestieren und deren ersatzlose Rücknahme zu fordern sowie zivilgesellschaftliche Bündnispartner_innen und potenziell ebenfalls Betroffene wie Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften etc. zu informieren und um Teilnahme am Aktionstag sowie Protestbekundungen gegenüber den Landeskoordinierungsstellen und dem BFMFSFJ zu bitten.

Die nächsten Schritte:

Um eine bessere Vernetzung zu ermöglichen, würden wir uns freuen, wenn sich möglichst viele andere Projekte/Träger den Protesten anschließen würden. Zu diesem Zweck wurde folgende Mail-Adresse eingerichtet: extreme_zeiten@gmx.de

Aus diesem Grund wird es auch ein breites Treffen von Trägern geben: am Mittwoch, den 26. Januar 2011, von 11:00 13:30 Uhr in der Amadeu Antonio Stiftung, Linienstraße 24891 , 10115 Berlin

Bitte verbreiten Sie diese Informationen über Ihre E-Mail-Verteiler. Ihre Ideen zur Beteiligung an dem Aktionstag sind herzlich willkommen.

Kontakt: extreme_zeiten@gmx.de

Berlin/Brandenburg, 19. Januar 2011 Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., Kulturbüro Sachsen e.V, Opferperspektive Brandenburg e.V., Verein Demokratische Kultur in Berlin e.V.

(Die Auftraggeber des Gutachtens von Prof. Dr. Ulrich Battis zur Verfassungskonformität der Extremismuserklärung)

Vorlage für ein Protestfax / E-Mail

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel.

Sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Schröder,

Die Extremismuserklärung , die das BMFSFJ derzeit allen Trägern im Rahmen des Programms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ abverlangt, stellt all diejenigen unter Generalverdacht, die sich täglich für praktizierte Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren. In der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus sind Misstrauen und Bespitzelungsaufforderungen gegenüber denjenigen, die demokratische Werte und Prinzipien vor Ort verteidigen, Demokratie schädigend und kontraproduktiv.

Wir fordern Sie daher auf, die Absätze 2 und 3 der so genannten Demokratieerklärung in den Zuwendungsbescheiden ersatzlos zu streichen.

Mit freundlichen Grüßen, _________________________________________________________ Ort, Datum, Name, Institution

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2 Antworten zu Aktionstag gegen die Extremismusklausel

  1. srb sagt:

    Hallo Freunde.

    bei aller berechtigten Kritik bitte ich Euch darum, das Posting bis zum 01.02 noch mal runterzunehmen. Ziel ist ein gewisser Überraschungseffekt und ihr seid zur Zeit die Einzigen die die Geschichte „googlerelevant“ veröffentlicht habt.

    Hoffe auf Euer Verständnis.

    grüße

  2. Pingback: Tweets that mention Aktionstag gegen die Extremismusklausel | rhg -- Topsy.com

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