Er ist wieder aufgetaucht, zurückgekehrt in die Schlagzeilen der Medien, deren Aufmerksamkeit er ausnutzt, um seine diffamierenden Äußerungen zu verbreiten: Thilo Sarrazin. Waren es Ende des Jahres 2009 noch Türken und Araber, denen er zum Großteil jenseits des Obst- und Gemüsehandels jegliche „Produktivität“ abgesprochen hat , wendet er sich nun dem Islam als Ganzen zu. Wie schon 2009 sind seine Äußerungen dabei pauschalisierend, einseitig und getragen von einer tiefen Ablehnung gegenüber Muslim_Innen. Ebenso erschreckend ist, inwieweit viele Medien auf die perfide Vorgehensweise von Sarrazin eingehen. Sarrazin selbst veröffentlichte Teile seines Buches vorab, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Bild-Zeitung . Ferner wurde es verboten andere Teile des Buches zu zitieren oder den Inhalt zusammenzufassen . Daraufhin kam es, wie auch nicht anders zu erwarten, zu einem großen Medienecho, in welchem Sarrazin teils heftig kritisiert wurde. Hierüber beschwerte sich wiederum Sarrazin, der sich ungerecht behandelt fühlte; es sei nicht fair, sein Buch anhand zusammengestellter Passagen zu bewerten, ohne den Gesamtzusammenhang zu kennen . Hiermit hätte Sarrazin tatsächlich nicht ganz Unrecht, wenn nicht eben er selbst und sein Verlag für die Situation gesorgt hätten, dass nur wenige Passagen der Öffentlichkeit zugänglich waren. Durch diese Vorgehensweise sorgt Sarrazin für dreierlei: Erstens immunisiert er sich gegen Kritik, da diese bis zur Veröffentlichung seines Buches aus seiner Sicht nicht erlaubt war (und somit seine Thesen erstmal unkommentiert ihre Wirkung hätten entfalten sollen). Zweitens ist es eine billige Werbemasche, um sein Buch zu verkaufen (schließlich ist es ja erst erlaubt, seine öffentlichen Äußerungen zu kritisieren, wenn mensch sein Buch gelesen hat). Drittens kann er sich selbst als Märtyrer hinstellen, dem selbst Schlechtes widerfährt, indem ihn die böse Öffentlichkeit völlig missversteht und viel zu vorschnell (ver-)urteilt. Statt dieses manipulative Vorgehen in den Vordergrund zu rücken und daran die generelle Vorgehensweise von Sarrazin als Verdreher der Wahrheit zu entlarven, stürzen sich viele Medien lieber auf die verqueren Thesen und versuchen diese auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen.
Doch damit nicht genug: Neben Befürworter_Innen wie Ralph Giordano Henryk M. Broder Arnulf Baring und Necla Kelek, die Gewehr bei Fuß stehen um ihren ins Straucheln geratenen Helden Sarrazin zu unterstützen, bekommt Sarrazin auch noch Beifall aus dem wissenschaftlichen Lager; konkret durch die beiden Professoren Heiner Rindermann („Es gibt auf jeden Fall genetische Unterschiede zwischen den Rassen“), der an der hiesigen TU in Chemnitz gelandet ist, und Detlef Rost von der Phillips-Universität aus Marburg . Obwohl die beiden Professoren in ihrem Artikel aus der FAZ zunächst selbst erkennen, dass Intelligenz erwähnt im Kontext von Minderheiten zu Stereotypisierungen führen kann und deshalb „bei diesen Themen besondere Sorgfalt in Forschung und Begrifflichkeit – politisch wie ethisch – geboten (sei)“ wird im folgenden weder Sarrazins Werk noch sein öffentliches Auftreten an diesen Kriterien gemessen; vielmehr erfolgt nur zwei Absätze später eine beispiellose und unreflektierte Lobhudelei. Sarrazins Buch sei demnach „eine Art bürgerlicher Kampfschrift für Stabilität und Disziplin, Eigenverantwortung und Leistungsprinzip, Realismus und Pragmatismus, Erziehung und Fleiß“. Nur von Menschlichkeit und Menschenwürde ist nichts zu lesen. Höchstwahrscheinlich weil diese Begriffe bei Sarrazin nicht vorhanden sind. Was hat es mit der Menschenwürde auf sich, was zählt Artikel 1 des Grundgesetzes – der federführend für unsere Verfassung sein soll – bei einem Mann, der gegen „ungesteuerte Zuwanderung“ ist und im gleichem Atemzug den Limes der Römer als Untermauerung seiner Argumentation benutzt ? Die Aussagen von Sarrazin legen nahe, dass er sich eine sozialdarwinistische Gesellschaft wünscht – Zuwandern darf nur, wer leistet und Gewinn bringt, alle anderen werden ihrem Schicksal überlassen. Auf solche Aspekte gehen Rindermann und Rost in ihrem Artikel jedoch nicht ein. Stattdessen führen sie eine völlig unangebrachte Debatte über den wissenschaftlichen Gehalt der Thesen von Sarrazin, die von dem eigentlichen Kerngehalt der Aussagen nur ablenkt. Indem Rindermann und Rost Sarrazin bei dem wissenschaftlichen Gehalt seiner Thesen auch noch Recht geben (wobei dies auch nicht unbestritten ist, was Rindermann und Rost im Fazit mit dem Kommentar „Hier und da ließe sich sicher eine abweichende Gewichtung vornehmen“ abtun), stärken sie Sarrazin damit insgesamt. Hier kann mensch die Frage stellen, ob biologistisch und kulturalistisch intendierte Forschungsergebnisse (lesekompetente Israelis, naturwissenschaftlich begabte Asiat_Innen ) nicht endlich aus ihrem Schattendasein gehoben werden sollen. Eine Debatte, wie sie Rindermann und Rost führen, ist bei den Aussagen Sarrazins völlig unangebracht; immerhin werten die beiden Professoren das Buch selbst als „Kampfschrift“. Eine Debatte über Wissenschaft wäre bei einem wissenschaftlichen Werk angebracht gewesen; eine Debatte um Integration wäre bei einer Integrationsschrift angebracht gewesen; bei einer derartigen „Kampfschrift“ ist die angemessene Reaktion daher keine Sachdebatte über Integration, sondern eine Debatte über Rassismus, Ausgrenzung und Sozialdarwinismus, da jede andere Debatte diese drei Themen durch die Nichtächtung in der Gesellschaft etablieren und normalisieren würde . Ob insbesondere Heiner Rindermann solche Diskussionen führen oder seine Kritiker_Innen lieber weiterhin pauschal als Verschwörungstheoretiker_Innen ohne Lesekompetenz bezeichnen möchte bleibt derweil abzuwarten.
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