Gegen die Nazi-Kundgebung am 20. August vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal
Nach ihren gescheiterten Aufmarschversuchen 2009 und 2010 bemühen sich die sächsischen Nazis in diesem Jahr eine Versammlung am 20. August am Völkerschlachtdenkmal durchzusetzen. Hintergrund sind die desaströsen Aufmarschversuche der letzten beiden Jahre: Im Oktober 2009 wurden die Nazis in Leipzig bereits am Startpunkt von Gegendemonstrant_innen aufgehalten. Fast genau ein Jahr darauf musste sich eine Gruppe von 150 Nazis mit einer Kundgebung vor dem Leipziger Hauptbahnhof zufrieden geben, während sich die Restlichen an möglichst kleinen und unbemerkten „Spontan“-Aufmärschen versuchten. Nun, 2011, wieder ein knappes Jahr später, stellen sie sich von vorn herein nur auf eine Kundgebung ein. Dafür sind bis zu 500 TeilnehmerInnen [1] und mehrere Bands, darunter der Nazi-“Barde“ Frank Rennicke, auf dem Vorplatz des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, angemeldet worden. Organisiert wird die Kundgebung von der NPD und Aktivisten der sogenannten „Freien Kräfte“, die in Sachsen mittlerweile große Schnittmengen haben und im Stadtteil Lindenau ein gemeinsames „Nationales Zentrum“ betreiben [2]. Als Redner werden u.a. Maik Scheffler (stellvertretender sächsischer NPD-Vorsitzender, Gründer des „Freien Netzes“), Tommy Naumann (Vorsitzender der NPD-Jugendorganisation in Sachsen) und Holger Apfel (sächsischer NPD-Chef) angekündigt.
Mit Nationalismus gegen Europa?
Nachdem sich NPD und „Freie Kräfte“ in den letzten Jahren mit ihren Aufmärschen am Thema „Volkstod“ abgearbeitet haben, reagieren sie diesmal mit dem Motto „Völker zur Freiheit – Nein zur EU-Diktatur“ auf die aktuelle Debatte um die Schuldenkrise verschiedener europäischer Länder und die finanziellen Hilfspakete. Die Kundgebung reiht sich in eine neue Kampagne der NPD unter dem ganz ähnlichen Titel „Raus aus dem Euro – Nein zur EU-Diktatur“ ein. Mit dieser Kampagne möchte die NPD nach eigenen Angaben „den sich formierenden Widerstand gegen den Euro bündeln und zu politischer Wirkung bringen“. Die Nazis knüpfen damit an ein beliebtes Thema nationalistischer Politik an, um sich ihres regressiven Antikapitalismus Gehör zu verschaffen [3]. So fordert sie die Einstellung deutscher Finanzhilfen und den Austritt aus der europäischen Währungsunion. Jedoch überwindet eine Reform der Zahlungsmittel in den europäischen Staaten weder die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Wirtschaft, noch werden die Bedingungen und Strukturen dieses Wirtschaftens in Frage gestellt. Die NPD sorgt sich lediglich darum, dass Deutschland nicht länger der größte Profiteur im europäischen Wirtschaftsraum sein könnte [4].
Gegen Nationalismus und Europa!
Die Existenz der Europäischen Union ist keine Wohltat – denn es geht in der EU nicht darum, die Konkurrenz der Mitgliedsstaaten und ihrer Ökonomien stillzulegen, womit Staatsgrenzen wirklich hinfällig würden, sondern die Konkurrenz unter verabredeten Bedingungen auszutragen. Die Staaten betreiben eine gemeinsame Binnenwirtschaft und haben sich sogar auf eine einheitliche Währung geeinigt, um auf alle Märkte der Mitgliedsstaaten zugreifen und sich auch an den Orten Ressourcen aneignen zu können, vor denen dereinst eine hinderliche Staatsgrenze verlief. Durch gemeinsames Auftreten als EU versuchen die Staaten die Konkurrenz nicht nur zu regulieren, sondern womöglich auf weitere Märkte auszuweiten. Davon zeugen übrigens auch die gemeinsamen Bemühungen der EU-Staaten, ihre Außengrenzen so abzusichern, dass der eigene Wirtschaftsraum profitabel bleibt – etwa durch die militärische Abwehr von Migrant_innen, die aus hegemonialer Perspektive lediglich als unnütze Kostgänger gelten, durch die sogenannte Grenzschutzagentur Frontex und in Zusammenarbeit mit scheinbar handzahmen Despoten wie Muammar Gaddafi. Entgegen dem Ideal vom geeinten Europa hat all das mit einer friedlichen „Verbrüderung“ der Menschen im kontinentalen Maßstab nichts zu tun, auch nicht nach innen: Der profitable Erfolg einiger Staaten geht zu Lasten der anderen. Die „Rettungsschirm“-Debatte, also die Frage, wer für staatliche Verlierer des europäischen Marktes aufkommt, ruft genau das ins Gedächtnis: Die europäischen Staaten kommen widerwillig und nur notgedrungen füreinander auf, weil sie die Bedingungen der Konkurrenz und damit die Grundlagen ihres Wohlstandes erhalten wollen. Unter den Bedingung kapitalistischen Wirtschaftens bedeutet das, dass die Gewinne zu allererst privaten Kapitalinvestoren vorbehalten sind, demgegenüber werden die Verluste jedoch vergesellschaftet. Nazis skandalisieren deshalb, dass Deutschland „Zahlmeister Europas“ sei, und das ist längst eine weitverbreitete Ansicht. Dieser Vorstellung genügt es auch nicht, dass sich Deutschland ökonomisch gesehen erfolgreich bewährt und damit in der Lage ist, andere Staaten wirtschaftlich zu erpressen. Vielmehr wird das nationalistische Ideal schon dadurch enttäuscht, dass das Aufgehen deutscher Gewinnrechnungen überhaupt vom Handeln anderen Staaten und vor allem der EU abhängig ist. NationalistInnen fürchten, deshalb in der Staatenkonkurrenz schlechter abzuschneiden und die NPD beklagt sogar, dass Nationalstaaten in der Europäischen Union ganz obsolet werden würden. Abgesehen davon, dass die sich auflösenden Staaten wohl kaum in einem Staatenbund gemeinsame Sache machen könnten, verschleiert diese Argumentation, dass Deutschland erheblichen Einfluss auf die EU-Politik hat. Nazis finden die EU deshalb verdächtig „antinational“ und fordern als Alternative ihr übliches Programm: eine deutsche Großmacht in europäischem Ausmaß und nach historischem Vorbild [5]. Die Realität der EU steht indes nicht im völligen Gegensatz zu den Forderungen deutscher Nazis und anderer NationalistInnen. Letztere empfehlen wegen des Stockens der europäischen Entwicklung zugunsten Deutschlands schlicht eine radikalere Durchsetzung „nationaler Interessen“, wo die Realpolitik gerade diese letzte Konsequenz und damit die Kosten imperialistischer Expansionspolitik vermeiden will.
Ein völkisches Denkmal
Eben weil es die Kritik der Nazis nicht leisten kann eine stichhaltige Begründung für ihre protektionistischen und reaktionären Forderungen zu liefern, greifen sie auf den Mythos zurück – das Völkerschlachtdenkmal als Veranstaltungsort ist keine zufällige Wahl. Die NPD will an die so genannte Völkerschlacht im Jahr 1813 gegen Napoleon erinnern. In ihren Augen war der Sieg über die napoleonische Armee ein Triumph der Mitbestimmungsrechte und demokratischen Freiheiten der „europäischen Nationen“. Geschichtlich gesehen ist das falsch, denn um bürgerliche Freiheiten ging es am ehesten Napoleon und dem von ihm durchgesetzten „Code Civil“, den man bei der Bücherverbrennung des Wartburgfestes symbolisch aus der Welt schaffte. Die Völkerschlacht bei Leipzig und das 100 Jahre später eingeweihte Denkmal stehen in der Tradition genau jenes deutschen Nationalismus, der auf die antifranzösischen Befreiungskriege und die daran anschließende antiaufklärerische Nationalbewegung zurückgeht. Insofern passt der Ort zur NPD. Sie ist nicht bereit die Vorherrschaft in der EU weiter mit Frankreich, Großbritannien und anderen Staaten abzustimmen. Eine jüngere Tradition sieht anders aus: Schon am 1. Mai 1997 versuchte die NPD eine Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal durchzusetzen, 1998 gelang ihr das erstmals – allerdings unter handfesten Protesten, die LVZ titelte damals: „ein bisschen wie in Belfast“. Seit 2001 wollte der Hamburger Nazi Christian Worch mit seinem Gefolge vielfach genau dorthin marschierten – und stieß ebenfalls auf vielfachen Widerstand. Der hat sich im „toleranten und weltoffenen Leipzig“ sogleich institutionalisiert, etwa in Form des Courage-Zeigen-Festivals am Vorabend des 1. Mai, um das Völkerschlachtdenkmal alljährlich für das „bessere Deutschland“ zu reklamieren. Das staatlich geförderte Festival ist ein Beispiel für Symbolpolitik gegen Nazis, und entsprechend seiner Form, in der es gegen Nazis und ihre Ideologien unwirksam ist, verzichtet das Festival auf jeden politischen Inhalt und agitiert im Sinne des Anti-“Extremismus“-Diskurses „gegen Gewalt von rechts und links“ [6]. Mit genau solchen Statements wird antifaschistischer Protest und linke Politik insbesondere in Sachsen kriminalisiert. [7] Zugegeben: Auch so etwas passt zum autoritären Ambiente und völkischen Charme des Völkerschlachtdenkmals. Wir sind allerdings der Ansicht, dass solche Alibi-Veranstaltungen das tatsächliche Problem verfehlen: Bei Gelegenheiten wie dem 20. August wollen Nazis menschenfeindlichen Inhalte in der Öffentlichkeit propagieren, die das bisweilen toleriert oder sympathisch findet. Es ist daher nötig, nazistische Parolen und nationalistische Argumente ebenso öffentlich zurückzuweisen, wie es möglich ist, die Nazikundgebung selbst zum Desaster zu machen – ganz egal, wo sie stattfindet. Deshalb laden wir alle Antifaschist_innen ein, mit uns am 20. August entschlossen auf die Straße zu gehen um gemeinsam gegen die Krisenpolitik der EU und der reaktionären Kritik an ihr zu demonstrieren. Für uns ist klar, dass es für die sich daran anschließenden sozialen Fragen, die sich im europäischen Maßstab stellen keine nationalen Antworten geben kann.
Turn Left, Smash Völki! Die Nazikundgebung am 20. August zum Desaster machen!
[1] – Der Vorbereitungskreis hat sich dazu entschlossen Nazis generell mit der Binnen-I Variante zu bezeichnen und wenn es sich nur um Männer handelt die männlich Schreibweise zu verwenden; bei allen übrigen Personengruppen verwenden wir das _in
[2] – In Leipzig beschäftigt sich eine antifaschistische Kampagne mit dem Nazizentrum in der Odermannstrasse 8. Mehr Infos bekommt ihr hier: Fence Off! – Weg mit dem Nazizentrum in LE!
[3] – Natürlich findet sich auch im Umfeld der Kampagne auch antisemitische Propaganda, wie im Gamma zuletzt berichtet wurde. Link: gamma.noblogs.org
[4] – Angesichts der Gewinne deutscher Unternehmen und des damit einhergehenden Wirtschaftswachstums ist diese Befürchtung aktuell unhaltbar.
[5] – Udo Voigt rekurriert in der EU-Broschüre der NPD aus dem Jahr 2003 offen auf das Deutsche Reich [6] – dieses Jahr boten die Veranstalter rassistischen und sexistischen Äußerung sogar ein Podium, wie ChronikLe berichtete. Link: chronikle.org
[7] – Eine Initiative beschäftigt sich mit den „Besonderheiten der sächsischen Demokratie“ und den damit verbundenen repressiven Zuständen für Antifaschist_innen. Informieren könnt ihr euch darüber unter sachsens-demokratie.net