Redebeitrag der RHG zur Demonstration „Nazis wegrüsseln“ am 05.03.2012
Die Verhinderung von Neonazi-Aufmärschen hier und überall muss das Anliegen aller sein, welche eine emanzipatorische Gesellschaft anstreben. Sich dabei an den Grenzen des sogenannten Rechtsstaates zu reiben sollte nicht nur beiläufige Tatsache sondern ein Ziel im Diskurs um Neonazismus sein.
Berücksichtigen wir dies nicht, verschließen wir die Augen vor den grundlegenden Strukturen, welche einerseits mit zu neonazistischen Untergrundkämpfern und Morden führen und jahrelange Anschuldigungen in den Communities der Opfer für gerechtfertigt halten und andererseits genau heute versuchen, in einer Stadt, welche dem NSU jahrelang als Unterschlupf mit einem Kreis an persönlichen Unterstützer_innen diente, deren Szenemitgliedern und möglicherweise sogar Unterstützer_innen und Bekannten eine Demonstration zu ermöglichen.
Dass es dort heute nicht in erster Linie gegen Migrant_innen oder alternative Lebensentwürfe geht, sondern um Geschichtsrevisionismus, ist kein Grund für uns einen unbehelligten Aufmarsch zu tolerieren.
Deutsche Täter_innen sind keine Opfer, auch jene nicht, die weg schauten, ignorierten, nicht wahr haben wollten. Die Chemnitzer Bevölkerung war nicht unschuldig, Chemnitz war kein Hort des Widerstands sondern Ort des Mit-Tuns und der Denunziation. Der Angriff auf die Stadt am 05. März 1945 kann in keinster Weise für eine gegenseitige Aufrechnung von Schuld taugen. Chemnitzer Geschichtsrevisionismus ad absurdum zu führen, heißt daher nicht nur nationalistischen Ideen zu begegnen. Auch weit verbreiteten Tradition antiimperialistischer Deutungen, welche die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg zwar weitgehend anerkennen, die besondere Bedeutung von Vernichtungskrieg und Shoa aber gern zugunsten traditionslinker Ideologien verschweigen, müssen abgelehnt werden.
Geschichtsumdeutungen dienen immer der Diffamierung anderer zugunsten der Reinwaschung der Nation. Im volksgemeinschaftlichem Sinne bedeutet dies was der Bundestagsabgeordnete der CDU Michael Heinrich in ganz deutscher Tradition formulierte, nämlich dass es heute „nicht um Parteien sondern um Gedenken“ gehe. Das Ziel der Schaffung einer konfliktfreien Gemeinschaft in nationalem Sinne steht heute hier, genau wie beim großen Beispiel Dresden, im Vordergrund konservativer Politiken. Wenn also wie im Aufruf formuliert schon eine Internationalisierungsstrategie im Rahmen politischer Konzepte vorangebracht werden soll, dann gefälligst und zwangsläufig gegen die Nation, gegen Deutschland.
Eine dahingehende Strategie für eine emanzipatorische Gesellschaft muss an einer demokratischen Universität im Rahmen wissenschaftlicher Auseinandersetzungen diskutiert werden können. Hier kommt den Organisator_innen der Demonstration und den in der Studierendenschaft aktiven, politischen Gruppen einen tragende Rolle zu. Einerseits können sie emanzipatorische Praxen nach innen leben und in den Gruppen diskutieren, gleichzeitig wirken sie nach außen, auf Student_innen, auf die gesamte Universität.
Es liegt auf der Hand, dass es an einer Hochschule wie Chemnitz, welche sich nahezu ausschließlich ihre technischen Leistungen rühmt, viel zu tun gibt. Hiesige philosophische Sparten erlangen eher durch Wissenschaftlichkeit karikierende Lehrstühle wie in der Politikwissenschaft überregionale Bekanntheit, ganz zu Schweigen von Veranstaltungen mit dem Geschichtsrevisionisten Arnulf Baring oder dem verurteilten, völkischen Publizisten Felix Menzel. Gleichzeitig wird politische Aktivität untergraben. Über Mailinglisten verschickte Aufrufe gegen ein Nazizentrum in Chemnitz zu protestieren werden von den Verantwortlichen mit dem Ausschluss von der Mailingliste bedroht. Weiter ist erstaunlich, dass sich ein Großteil der politischen Hochschulgruppen um Parteien und etablierte NGOs schart, mehr oder minder deren Jugendorganisationen darstellt. Dies kann ebenfalls beim besten Willen nicht als qualitativ-emanzipatorische Theorie und Praxis überzeugen.
Soll die Universität nicht gänzlich zur Turboberufsschule verkommen, muss sie sich wieder mit ihrem aufklärerischen Ideal auseinandersetzen, das einen freien, ganzheitlichen Begriff von Bildung formulierte und einer reinen Berufszurichtung entgegenstellte. Gleichzeitig zeigt die nationale Historie, das tatsächliche Bildung heute nur ein Prozess der Emanzipation sein kann, wenn er dem adorno’schen Imperativ „dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe“ Rechnung trägt.
Ein Wissenschaftsstandort, welcher das Erwirtschaften von Drittmittel über die Möglichkeit einer universellen Bildung stellt, mag für sich die Zeichen der Zeit erkannt haben, die Notwendigkeiten für eine zukünftige Gesellschaft kennt er nicht. Maschinen mögen für das Herstellen von Hamburger Gittern taugen, welche Routen von Nazidemos abschirmen, für die massenweise Fertigung von Kunststoffpanzerungen für Ordnungskräfte, welche jene Nazis schützen. Gegen Neonazismus, Autoritarismus und Menschenverachtung helfen sie nicht.
Es gibt viel zu tun in Chemnitz, Naziinfrastruktur wie das im vergangenen Herbst eröffnete Veranstaltungszentrum in Chemnitz Markersdorf, der in der vergangenen Woche eröffnete Thor-Steinar-Laden „Brevik“ am Brühl und neonazistische Strukturen der Nationalen Sozialisten Chemnitz und weitere freie Kräfte unter anderem im Fanbereich des CFC. Nicht zu vergessen sind die völkische Vereinigung Pro Chemnitz mit ihrem Umfeld bspw. im Rahmen faschistoider bzw. „neurechter“ Publikationen wie der Blauen Narzisse oder Sezession. Alltagsrassismus bei Einlasskontrollen in Clubs, struktureller Rassismus in Form der zentralen Aufnahmestelle für Fluchtmigrant_innen in Sachsen.
Es reicht nicht, sich als Studierende kosmopolitisch zu fühlen und ab und an im Club der Kulturen Bier aus anderen Ländern zu trinken, während die Musik von Gaststudierenden gespielt wird. Antifaschistisches Engagement braucht mehr, mehr Inhalt, mehr Intensität.
Der Aufruf des Studierendenrates und die von der Universität ausgehende Demonstration sind wichtige Schritte und als Novum in Chemnitz zu würdigen. Die Aktion kann ein Anfang für eine praktische, universitäre Auseinandersetzung um Neonazismus und menschenverachtende Ideologien in der Region und darüber hinaus sein. Erfolge werden wir nur verzeichnen, wenn es dabei nicht bewenden bleibt.
Für einen aktiven, antifaschistischen Konsens, heute und in Zukunft – Rote Hochschulgruppe Chemnitz!